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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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Bussard, der einsame Schrei hallte über das Tal. Umgehend erklang zur Antwort das
tiefe Krächzen eines Raben. Die Vögel des Todes hatten Blut gerochen.
    Gort seufzte. Zur Verteidigung hatte er nichts als seinen Stab. Er stützte sich darauf, umfasste das gute, starke Holz etwas fester. Unter dem Hieb eines römischen Schwerts würde es vermutlich zersplittern, aber er würde es dennoch versuchen. Alles, um sie zu beschützen. Allerdings hatte er merkwürdigerweise das Gefühl, als werde sie bereits beschützt, eine unirdische Ruhe hatte sich um sie gelegt. Vielleicht bildeten Engelsflügel einen Wall um sie, vielleicht waren die Schatten ihrer Mutter und ihres Vaters ihr aus Rom gefolgt. Es waren noch andere Menschen hier bei ihnen, ja, es herrschte ein regelrechtes Gedränge. Er lächelte leicht, und Titus verspannte sich sofort.
    »Amüsiert dich dein bevorstehender Tod?«
    Gort schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe mich gefragt, ob du die anderen Menschen hier wohl siehst. Die Schatten der Menschen, die du getötet hast, die Menschen, die du entehrt hast. Die zwei - in deinen Augen mögen sie tot sein, aber ich sehe ihre Geister, die dich beobachten. Er hat den Arm um sie gelegt. Hat Drusilla Commios geliebt, Eigon? In der nächsten Welt sind sie jetzt zusammen.«
    Titus war blass geworden. »Narr! Glaubst du, du könntest mir damit Angst machen?«
    »Nein, ich glaube nicht, dass ich dir Angst machen kann. Ich glaube, du bist jenseits aller menschlichen Gefühle.« Gort veränderte seine Haltung ein wenig, um einen sicheren Stand zu haben, und umfasste den Stab noch etwas fester. »Das Traurige ist, dass auch dein Geist durch diese Berge streifen wird, und er wird Gift speien, wenn dir die Kehle durchtrennt wird.«
    »Und wer wird mir die Kehle durchschneiden, Alter?« Titus schien belustigt.

    »Oh, dafür sehe ich eine ganze Reihe Menschen hinter dir.« Gort erwiderte sein Lächeln und schaute nach oben. »Und wie ich sehe, ist auch die Cailleach gekommen. Sie warnt uns vor dem Tod, wie auch der Rabe.«
    Eigon folgte seinem Blick. Auf lautlosen Flügeln war eine Eule aus dem Wald herbeigeflogen, ließ sich auf dem untersten Zweig einer alten Esche hinter Titus nieder und stieß einen leisen, zitternden Ruf aus. Titus fuhr zusammen.
    »Eine Eule des Tages. Ein Todesbote.« Gort betrachtete den Vogel liebevoll. »Wie auch der Mann, der hinter dir steht, mein Freund, mit gezücktem Schwert.«
    Eigons Augen weiteten sich vor Staunen. Titus wirbelte herum. Das Aufblitzen der Schwertschneide war das Letzte, das er sah.
     
    »Meryn, kommen Sie schnell!« Rhodris Stimme riss Meryn in die Gegenwart zurück. »Sie haben Daniel gefunden!«
    Meryn trat einen Schritt von den Steinen fort, einen Moment war er völlig benommen. Er atmete tief durch und versuchte, die Bilder wegzuschieben, die in seinem Kopf herumwirbelten. »Wo ist er? Was ist mit Jess?«
    Rhodri schüttelte den Kopf. »Sie ist immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Aber Daniel hat sich in einer alten Kirche verschanzt, keinen Kilometer von hier. Die Polizei ist dort.«
    »Aber er ist nicht bewaffnet?«
    »Das wissen sie nicht so genau. Sie wollen kein Risiko eingehen, aber entkommen kann er nicht. Was mir Angst macht, ist die Vorstellung, dass er Jess irgendwo versteckt hat. Was, wenn er sich weigert, uns zu sagen, wo sie ist?«
    »Er hat Jess nicht, Rhodri.« Meryn schüttelte den Kopf. »Sie wissen doch, Glads hat Jess.«
    Rhodri starrte ihn an. »Sie haben mit Glads gesprochen?«

    Meryn nickte. »Im Augenblick ist sie fort. Ich habe sie zu sehr bedrängt.« Er seufzte. »Ich muss hierbleiben und versuchen, dass sie wiederkommt. Hier ist ein solches Durcheinander von Vergangenheit und Gegenwart, so viel Schmerz. So viel …« Er brach ab. »Warten Sie. Marcia ist wieder hier. Ich höre ihre Stimme.«
     
    Marcia Maximilla schaute in das dunkle Wasser ihrer Schale und lächelte. So viel Chaos, so viel Wut. Überaus befriedigend. Dann schüttelte sie den Kopf. Der Zauberer hatte sie um Hilfe gebeten. Ein gut aussehender Mann, der ihre Schönheit bemerkte und ihr mit einer Beschleunigung seines Herzschlags geschmeichelt hatte. Er gefiel ihr auf Anhieb. Sie fuhr mit der Hand über das Wasser und sah, wie sich auf der gekräuselten Oberfläche neue Bilder formten. Das Bild von Titus war fort. Hier war eine andere Seele, die sie beobachten konnte. Eine Seherin wie sie selbst, und zwar eine mächtige, eine Frau, die sich im Körper eines Kindes verbarg.
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