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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs
Autoren: Barbara Erskine
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Schattenflecken auf die Erde warfen. Eigon lächelte.
    »Dieses Mal bin ich eine erwachsene Frau. Mein Gott wird mich schützen. Ich werde bereit sein für ihn.«
    »Und du willst ihn töten?« Gort sah ihr in die Augen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Der Herr sagt, wir sollen die andere Wange hinhalten.«
    »Und wie wird das den Schmerz, den er verursacht hat, vergelten?«
    »Das überlasse ich Gott. Ich habe mich in seine Hände begeben und vertraue ihm.« Sie lächelte wieder. Jede Nacht verbrachte sie lange Stunden in innerer Einkehr, umgeben von der Wärme, der Liebe und dem Trost, die die Gebete ihr spendeten, ob sie nun draußen unter den Bäumen, in den heiligen Hainen ihrer Vorfahren oder im Dunkel der Häuser und Hütten war, in denen sie vor dem Wetter Zuflucht suchten. »Wenn die Zeit gekommen ist, wird er mir sagen, was ich tun soll.«
    Allmählich wurden die Tage länger und die Frühjahrssonne stärker. Sie folgten den Flusstälern, dann den Pfaden
nach Norden, unbeirrt dem Ort zu, den ihr Vater für die schicksalhafte Schlacht mit Rom bestimmt hatte.
    Das Schlachtfeld war schon längst wieder von Gras und Büschen überwachsen, nichts war mehr zu sehen von den vielen Grabstätten und Scheiterhaufen. Die Palisaden der großen Bergfestung waren geschleift worden, die Mauern waren verschwunden, jetzt grasten Schafe auf den Erdwällen. Ganz allein ging Eigon auf die Ebene hinaus. Jetzt spürte sie es, die Angst, die Qual, den Zorn, die Wut der Schlacht. Mit geschlossenen Augen flüsterte sie ein Gebet für die Seelen all jener, die hier im Tal der Raben gefallen waren, dann wandte sie sich zum steilen Abhang, der nach Süden und Westen verlief, die Bergflanke, über die sie und ihre Mutter, ihre Amme, ihr Bruder und ihre Schwester durch die Nacht geflohen waren, um der Gefahr zu entkommen und eine Zuflucht zu finden.
    Schweigend ging sie weiter, ließ sich mehr von ihrer Intuition als von ihrer Erinnerung leiten, den Weg entlang, den sie nehmen musste, um zu dem halb verfallenen Viehstall zu gelangen, wo sie sich vor dem Lärm und dem Gestank von Blut versteckt hatten. Gort folgte ihr wortlos.
    Als sie die Steinmauern erblickten, blieb er unvermittelt stehen, legte eine Hand auf ihren Arm und einen Finger auf seine Lippen. Dort stand jemand und wartete auf sie. Sie hörten das Klicken von Steinen, das leise Wiehern eines Pferdes. Vorsichtig schlichen sie näher.
    Titus saß mit verschränkten Armen auf einem Steinhaufen. Neben ihm lag ein Schwert.
    »Ah, jetzt endlich stellst du dich deinem Schicksal.« Mit einem freundlichen Lächeln betrachtete er die beiden, die nebeneinander auf dem alten gepflasterten Weg standen. »Du hast lange gebraucht, um hierherzukommen, Eigon, aber die Berge sind zu dieser Jahreszeit wunderschön, nicht
wahr? Es war nur recht und billig, dass du dich an deinen letzten Tagen hier erfreuen solltest.« Wie aufs Stichwort begann vom Berg hinter ihnen ein Kuckuck zu rufen, der Schrei hallte durchs ganze Tal. Langsam stand Titus auf. Eigon wich ein paar Schritte zurück. Gort hingegen rührte sich nicht vom Fleck, wie sie bemerkte.
    »Ich habe hier ein paar deiner Freunde bei mir, die dich begrüßen möchten.« Wieder lächelte er. »Sie haben lange nach dir gesucht. Zum Glück haben sie auf ihrem Weg quer durchs Land so oft und so hartnäckig nach dir gefragt, dass ich sie gar nicht verfehlen konnte. Sehr nette Reisegefährten.« Er deutete hinter sich auf die Mauer. »Leider konnten sie nicht warten, bis du endlich kommst, aber dann würdest du auch nicht erwarten, dass ich das zulassen würde, oder?«
    Eigon war der Mund wie ausgedörrt. Sie warf einen Blick zur Mauer. Der Tag hatte plötzlich seine Wärme verloren. »Commios?«, flüsterte sie. »Drusilla?«
    Titus zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, aber es ging sehr schnell.«
    Gort fasste sie am Arm. »Schau nicht hin.« Da er größer war als sie und etwas näher an der Mauer stand, hatte er die beiden Leichen bereits gesehen. Die Arme waren auf dem Rücken gefesselt, ihre Kehlen waren durchtrennt.
    Titus lächelte finster. »Seltsamerweise hat ihr Ende mir kein Vergnügen bereitet. Es waren nette Leute. Ihre Schuld war, dich zu kennen.« Er kniff die Augen zusammen. »Du siehst aus, als täte dir das weh.«
    »War das nicht deine Absicht?«, stieß Eigon hervor, aber sie war gefühllos geworden. Die Welt beschränkte sich nur noch auf diesen kleinen, von Brennnesseln überwucherten Ort. Irgendwo über ihr rief ein
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