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Die Teufelshure

Die Teufelshure

Titel: Die Teufelshure
Autoren: Martina André
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die ist längst tot.«
    John erwiderte nichts. Der Regen war schwächer geworden, aber noch immer jagten düstere Wolken am Himmel entlang.
    Ziemlich durchnässt und mit schlammverdreckten Stiefeln passierten sie schließlich unter den scharfen Blicken der Wachmannschaften das nördliche Stadttor von Edinburgh. John wurde wie immer auf Waffen kontrolliert. Nicht nur seine hünenhafte Erscheinung und das kantige Gesicht trugen Schuld daran, dass ihm die Stadtwachen misstrauten. Die »Toun Rats«, meist ältere, hartgesottene Veteranen, erkannten alleine an Johns Aufmachung, dass sie es mit einem geborenen Krieger zu tun hatten. Nicht umsonst rekrutierten Armeen aller Couleur ihre Soldaten bevorzugt in den Highlands. Den meisten Männern aus dieser Region Schottlands pulsierte das wilde Blut der Wikinger in den Adern, das sie selbst in Friedenszeiten nicht zur Ruhe kommen ließ. Obwohl John nur den üblichen Sgian Dubh bei sich trug, einen kleinen schwarzen Dolch, der gewöhnlich im Stiefel steckte, konnten die Soldaten ihm ansehen, dass er problemlos in der Lage war, ein panzerbrechende Waffe zu führen, jenes gefürchtete Breitschwert, das zu einem Highlander gehörte wie sein Plaid.
    »Wo sollte ich denn ein Clagmore versteckt haben?«, bemerkte John spöttisch und lüftete für einen Moment sein Plaid, als die Wachen ihn nach dem Besitz des beinah eineinhalb Meter langen Schwertes befragten.
    Wenig später schlenderten John und seine Kameraden die High-Street hinauf in Richtung Castle Rock, um kurz davor in den Strait-Bow einzubiegen, der direkt hinab zum Horsemarket führte. Von einer von steilaufragenden Häusern gesäumten Anhöhe aus konnte man den Galgen gut erkennen, an dem Stratton seinen letzten Atem aushauchen sollte. Das Balkengerüst aus massivem Eichenholz erhob sich mit seinem hölzernen Podest aus einem wogenden Meer von Alten und Jungen, Kranken und Gesunden, die alle nur ein Ziel verfolgten – das grausige Ende eines armen Sünders unter Pfiffen, Zurufen und Beifall zu begaffen. Die Plattform, auf welcher der Delinquent sein letztes Gebet sprechen würde, bevor er zur Hölle fuhr, war noch leer und von einer buntgeschmückten Balustrade umrandet, geradeso als ob es ein großes Fest wäre, einen jungen, kerngesunden Kerl hängen zu sehen.
    Es war nicht das erste Mal, dass der weitläufige Platz sich eines solch morbiden Spektakels erfreute, und die zahlreichen Gasthäuser, die das Areal begrenzten, verdienten bei einer Hinrichtung weit mehr als an einem gewöhnlichen Markttag, wenn hier Pferde und Kühe den Besitzer wechselten.
    Ein Kommando der Stadtwache hatte auf dem sogenannten Horsemarket Aufstellung genommen, um Ruhe und Ordnung zu sichern. Nicht selten versuchten Rebellen in letzter Minute ihre Kameraden vor dem Tod zu retten, indem sie zu Pferd den Hinrichtungsaufbau stürmten und den Gefangenen vom Galgen schnitten. Doch wer sollte Stratton befreien? Er war mit Sicherheit kein Mann, der viele Freunde besaß. Er gehörte zu keinem Clan und zu keiner Partei, und die Anschuldigungen des Gerichts, er sei ein Rebell, erschienen John geradezu lächerlich. Die Soldaten stießen und drängten die wartenden Menschen mit Knüppeln hinter eine Absperrung, um die reibungslose Zufahrt des Delinquenten auf seinem offenen Gefängniswagen zu garantieren. John kannte einige der Männer, sie stammten wie er aus dem schottischen Hochland und waren nach Edinburgh gekommen, um als gut entlohnte Söldner ein besseres Leben zu führen.
    Der Henker prüfte ein letztes Mal das Seil, an dem sich Strattons Schicksal erfüllen sollte.
    John war mulmig zumute. Er hasste den Tod – erst recht, seit er vor zwei Jahren die Beulenpest überlebt hatte. Es war nicht so sehr die Angst vor dem Sterben überhaupt, sondern vielmehr vor der Art, wie es geschah. Während der Pest hatte er aus nächster Nähe Alte und Junge unter unvorstellbaren Qualen dahinsiechen sehen, und außer beten war ihnen nichts geblieben, um das grausame Schicksal noch einmal von sich abwenden zu können. Vielleicht war da ein Genickbruch, wie er manchmal beim Hängen eintrat, das geringere Übel. Aber nicht oft hatten die Verurteilten ein solches Glück. Gehenkt zu werden bedeutete in der Regel einen qualvollen, langsamen Tod. Oft baumelte der Betroffene eine halbe Ewigkeit, nachdem man ihm die Schlinge um seinen Hals gelegt und den Körper so weit nach oben gezogen hatte, dass die Füße den Boden verloren. Stück für Stück schnürte sich dem
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