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Die Teufelshure

Die Teufelshure

Titel: Die Teufelshure
Autoren: Martina André
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Todgeweihten die Kehle zu. Auf diese Weise zu sterben stellte sich John alles andere als angenehm vor.
    Doch es gab noch andere Todesarten, die man selbst seinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Kein Tag verging, an dem John nicht an das grauenvolle Sterben des kleinen Jeremy Cook denken musste. In manchen Nächten erwachte er schweißgebadet aus diesem immer wiederkehrenden Alptraum. Zu lebhaft stand ihm vor Augen, wie er bei seinem ersten anständigen Job in der Stadt vergeblich versucht hatte, den schmächtigen sechsjährigen Schornsteinfegergehilfen an einem langen Seil, das der Junge um die Brust geknotet trug, aus einem endlos erscheinenden schmalen Kaminschlot herauszuziehen. Chimney-Sweeps, wie man die kindlichen Schornsteinfeger von Edinburgh nannte, wurden erbarmungslos ausgenutzt, weil nur ihre schmale Gestalt in die mehrstöckigen engen Schlote passte und damit an Stellen gelangen konnte, wo weder Bürste noch Eisenkugel halfen. Noch immer verfolgte John das Geräusch, als das Seil riss, und der Schrei des Jungen, als er in die Tiefe stürzte. So lange, bis das unglückliche Kerlchen zwischen den eng gemauerten Steinen steckenblieb und im heißen Rauch und dichten Kohlenruß elendig erstickte. Obwohl so etwas tagtäglich geschehen konnte und zum wahrhaft schmutzigen Geschäft gehörte, gab John sich die Schuld an Jeremys schrecklichem Tod. Er ganz allein hatte die Verantwortung für den Jungen getragen, und es war ihm nicht gelungen, rechtzeitig die Wand an jener Stelle aufzustemmen, wo er das sterbende Kind in dem zwölfstöckigen Gemäuer vermutet hatte.
     
    Bis zur Hinrichtung dauerte es noch eine Weile. John schlug vor, dass man auf ein Ale in einen der vielen Pubs einkehren sollte. Paddy entschied sich für das White Hart Inn, weil das Bier einen guten Ruf hatte und man von dort aus direkt auf den Galgen schauen konnte.
    Während John für vier Krüge Bier anstand, drängten sich immer mehr Gäste in den Schankraum. Durch die geöffneten Fenster konnte er beobachten, dass draußen etliche Kutschen und Sänften eintrafen, denen meist adlige oder zumindest vermögende Edinburgher Bürger entstiegen, um sich von Lakaien zu ihren Ehrenplätzen auf einer eigens für die Hinrichtung errichteten Holztribüne geleiten zu lassen.
    Paddy, Malcolm und Micheal stellten sich an die offene Tür, als sie endlich ihre Bierkrüge in Händen hielten, damit ihnen nichts entging. John setzte sich abseits in den rückwärtigen Schankraum auf den einzig freien Stuhl. Er stieß einen Seufzer aus und nahm einen großen Schluck Bier. Ein langer Trommelwirbel lockte die Gäste schließlich schneller hinaus, als sie hereingekommen waren. John beobachtete das Geschehen über den Rand seines Kruges hinweg und entschied sich kurzerhand, einfach sitzen zu bleiben.
     
    Bis auf ihn und zwei Frauen, die den Bierausschank zur Straße bedienten, war niemand mehr in der Gaststube, als sich mit einem Mal die Tür öffnete und zwei Lakaien in samtgrüner Livree eine prachtvoll gekleidete junge Frau stützten, um sie auf einen der freien Stühle zu bugsieren. John musste zweimal hinschauen. Trotz ihrer halb geschlossenen Lider erschien ihm die Unglückselige wie jene Göttin, die Paddy gemeint haben musste, als er sagte, es gebe keine Frau, die es wert sei, für sie zu sterben. Selbst wenn diese Frau so aussah, als wolle sie selbst sterben, war sie dennoch anziehend genug, dass es John jederzeit für sie getan hätte, wenn es notwendig gewesen wäre.
    In ihrer Begleitung befand sich eine ältere, ganz in Grau gekleidete Dienerin. »Wir benötigen ein Bett oder ein Sofa!«, rief sie mit strenger Miene, während ihre Augen in Panik umherhuschten, auf der Suche nach einem Sofa. Doch weit und breit waren nur Stühle und Tische in Sicht, die keinerlei Bequemlichkeit boten.
    »Wenn sie in ein Bett soll, muss sie jemand hinauf in die Kammer tragen«, krakeelte die dralle Meg hinter dem Ausschank und steckte sich rasch ein paar blonde Haarsträhnen unter die gestärkte Haube.
    Halb bewusstlos und so bleich wie der feine Kapuzenmantel, den sie trug, sah die junge Frau aus, als wäre sie soeben dem Holyrood-Palace entsprungen. Ihre Dienerin nahm ihr den filigranen Strohhut ab, worauf ihre dunklen Locken wie ein seidiger Vorhang über ihr makelloses Antlitz fielen. Die Lakaien zuckten mit den Schultern, weil sie sich offenbar nicht in der Lage sahen, die Frau gemeinsam ein Stockwerk höher zu tragen.
    John erhob sich. »Ich mache das«,
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