Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Templerin

Die Templerin

Titel: Die Templerin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
werden, aber zugleich auch nah genug, daß Jan seiner Aufgabe gerecht wurde.
    »Du machst dir ein falsches Bild vom Leben eines Ritters, Robin«, sagte er leise. »Die Erziehung ist hart, und sie dauert Jahre. Ich war acht, als ich zu Bruder Abbé kam, und es wird wahrscheinlich noch einmal so lange dauern, bis meine Ausbildung wirklich abgeschlossen ist… wenn überhaupt.«
    »Das würde mich nicht schrecken«, behauptete Robin.
    »Du willst kämpfen lernen«, sagte Jan. »Du willst lernen, wie man mit dem Schwert umgeht, dem Morgenstern und der Lanze. Du würdest dabei verletzt werden.«
    »Ich habe mich schon oft verletzt«, sagte Robin leichthin.
    »Du wirst dir Schnittwunden einhandeln, Prellungen und Knochenbrüche«, fuhr Jan unbeirrt fort. »Du wirst Schmerzen und Entbehrungen erleiden, die du dir jetzt nicht einmal vorstellen kannst! Und das ist noch der angenehmste Teil der Erziehung.«
    »Aber du…«
    »Du mußt deine Familie verlassen«, fuhr Jan fort. »Du liebst doch deine Mutter?«
    »Natürlich«, antwortete Robin impulsiv.
    »Du würdest sie nie wiedersehen«, sagte Jan ernst. »Und auch alle anderen nicht, die du kennst. Du würdest dein ganzes Leben hinter dir lassen, um es gegen endlose Jahre harter Arbeit und Entbehrungen einzutauschen. Du müßtest die niedrigsten Arbeiten verrichten, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Würde es dir Freude bereiten, drei Jahre lang Pferdeställe auszumisten, bevor du das erste Mal auch nur ein Schwert anrühren darfst?« Er schnaubte wütend. »Und in der Zeit dazwischen, wenn du gerade keinen Pferdemist schaufelst oder Feuerholz hackst, bis dir die Hände bluten, endlose Exerzitien und Gebete.« Er sah Robin streng ins Gesicht: »Betet ihr vor dem Essen, deine Mutter und du?«
    »Natürlich«, antwortete Robin.
    »Sag mir ein Vaterunser auf«, verlangte Jan. Als sie nicht sofort gehorchte, fügte er noch hinzu: »Auf französisch.«
    »Das kann ich nicht«, antwortete Robin.
    »Du müßtest es aber«, beharrte Jan grimmig. »Und zwar nicht nur eines, sondern dreißig, vor jeder Mahlzeit. Vor Sonnenaufgang mußt du eine Stunde beten und eine weitere nach Sonnenuntergang. Bei der kleinsten Verfehlung wirst du hart bestraft - manchmal nur für ein Lachen oder einen falschen Blick. Für einen unkeuschen Gedanken mußt du dich stundenlang kasteien, und wenn dein Herr es von dir verlangt, dann stehst du einen halben Tag mit nackten Füßen im Schnee und betest zweihundert Ave-Maria.«
    »Warum?«
    »Allein für diese Frage würdest du zehn Klafter Holz hacken, mit einem stumpfen Beil«, antwortete Jan. Er schüttelte heftig den Kopf, stockte plötzlich und starrte einen Moment aus mißtrauisch zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit hinter Robin - als hätte er etwas gehört, was seine Aufmerksamkeit erweckte. Seine Hand tastete nach dem Schwert, das neben ihm im Gras lag, zog sich aber zurück, bevor sie die Waffe erreichte, und er entspannte sich und ließ den Hinterkopf wieder gegen den Baum sinken, als habe er nur ein Tier gehört.
    »Aber du… du hast doch dieses Leben auch gewählt!« sagte Robin verständnislos. Die Bitterkeit, die plötzlich in Jans Stimme war, erschreckte sie zutiefst. Sie war verwirrt. Bisher hatte sie geglaubt, daß der junge Ritter nicht nur stolz auf das war, was er war, sondern sein Leben als Tempelritter auch über alles liebte. War es möglich, daß er all diese Geschichten und Abenteuer nicht nur erfunden hatte, um sie zu beeindrucken, sondern auch und vielleicht sogar vor allem, um sich selbst etwas vorzumachen, sich ein Leben einzureden, das es in Wahrheit gar nicht gab? Und wenn ja, warum? Weil er die Wirklichkeit nicht ertragen hätte?
    »Das habe ich nicht«, sagte Jan bitter. »Mein Vater hat die Entscheidung für mich getroffen. Und glaube bloß nicht, daß ich sie nicht schon bereut hätte. Jeden, jeden und jeden Tag, seit ich diese verfluchte Komturei das erste Mal betreten habe!«
    »Aber ich dachte, du wärst stolz darauf, ein Ritter zu sein!«
    »Ein Ritter?« Jans Stimme wurde bei diesen beiden Worten schrill, aber er lachte nicht. »Du glaubst, das wäre ich? Ich will dir sagen, was ich bin: Ich bin sein Büttel!« Er deutete auf die Kapelle. »Ich bin nichts als ein Laufbursche, der den Dreck wegräumen darf. Und meine bisher größte Belohnung besteht darin, darauf zu achten, daß das schmutzige Geheimnis eines geilen alten Bocks nicht an den Tag kommt!« Darauf wußte Robin nun gar nichts mehr zu erwidern.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher