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Die Templerin

Die Templerin

Titel: Die Templerin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Erstaunliches: Ihre Welt wurde größer. Zwar begann sie nach einer Weile zu argwöhnen, daß vielleicht nicht alles stimmte, was Jan ihr erzählte - der schwarzhaarige Ritter war gerade einmal siebzehn Jahre alt und somit zwar schon Manns genug, um an der Seite anderer Ritter in die Schlacht zu reiten und gegen die Heiden zu kämpfen, aber zugleich auch noch genug Kind, um sich in der Bewunderung eines Jüngeren zu sonnen und seine eigenen Heldentaten vielleicht etwas mehr herauszustreichen, als angemessen war. Aber das spielte keine Rolle. Niemand konnte sich Geschichten wie diese ausdenken, ohne wenigstens etwas davon wirklich erlebt zu haben, und Robin begriff zumindest eines mit erschütternder Gewißheit: daß die Welt größer war, als sie bisher geglaubt hatte. Unendlich viel größer. Sie endete immer noch am Meer im Norden, dem Fluß und den Hügeln, aber sie wußte nun, daß sie dahinter weiterging und voller unbekannter, exotischer Länder war, voller Abenteuer und Geheimnisse, die es zu ergründen gab, aber auch voller schrecklicher Gefahren und großer Herausforderungen. Und mit jedem Wort, das sie hörte, jeder neuen Geschichte, die Jan erzählte - gleich ob ausgedacht oder wahr - wuchs in ihr der Entschluß, diese Welt eines Tages kennenzulernen. Sie wollte - sie mußte! - mit eigenen Augen sehen, wie es dort draußen zuging! Und an jenem schicksalhaften Abend stellte sie Jan die Frage, die ihr schon seit ihrem zweiten oder dritten Treffen wie keine andere auf der Zunge brannte, die sie aber bisher nicht auszusprechen gewagt hatte. »Was muß ich tun, um Ritter zu werden?«
    Jan starrte sie an, als hätte sie ihn gefragt, warum die Sonne morgens aufging. Es dauerte eine geraume Weile, bis er seine Sprache wiederfand, und auch dann war seine Antwort nicht besonders geistreich: »Was… hast du gesagt?«
    »Ich will Ritter werden«, sagte Robin noch einmal und mit großem Ernst. »Genau wie du.«
    »Du weißt nicht, was du da redest«, sagte Jan. Er klang plötzlich fast unwirsch, fast als hätte sie etwas gesagt, worüber er sich ärgerte. Robin verstand das nicht.
    »Oh doch«, beharrte sie. »Ich habe es mir genau überlegt. Ich will all diese fremden Länder und Menschen sehen, von denen du erzählt hast. Ich will ins Heilige Land! Ich will gegen die Sarazenen kämpfen und… und die Kirche sehen, in der unser Heiland zu Grabe getragen wurde.« Jan sah sie lange und sehr ernst an, dann sagte er leise: »Du glaubst doch gar nicht an ihn.«
    Robin war schockiert, nicht ob dieser ungeheuerlichen Unterstellung - die vielleicht gar keine war -, sondern weil sie einfach nicht verstand, woher er das wissen konnte! Tatsächlich war Robin kein besonders gläubiger Mensch. Sie versammelte sich sonntags zusammen mit allen anderen zum gemeinsamen Gebet, und selbstverständlich betete sie auch mit ihrer Mutter vor den Mahlzeiten und vor dem Schlafengehen. Aber es waren nur Worte, die sie sprach. Mit dem Herzen war sie niemals wirklich dabeigewesen. Sie hatte Mühe, sich mit einem Gott anzufreunden, der zuließ, daß ehrliche Menschen im Winter verhungerten und Neugeborene ertränkt wurden, nur weil sie das falsche Geschlecht hatten. Aber wie um alles in der Welt konnte Jan das wissen?
    Der junge Tempelritter sah sie noch einige Augenblicke auf die gleiche, unangenehm durchdringende Weise an, aber er war dann doch diplomatisch genug, nicht auf einer Antwort zu bestehen. Er sagte nur noch einmal: »Du weißt ja gar nicht, was du da sagst.«
    »Aber du selbst hast mir doch…«
    »Ich habe dir von meinen Abenteuern erzählt«, fiel ihr Jan ins Wort. »Von den Reisen, die ich zusammen mit meinem Herrn unternommen habe, und all den fremden Menschen und Ländern, die wir gesehen haben. Vielleicht war das ein Fehler.«
    »Wieso?« fragte Robin. »Ist es denn nicht wahr?«
    »Doch«, antwortete Jan. Dann zuckte er mit den Schultern, rettete sich in ein verlegenes Lächeln und fügte hinzu: »Mehr oder weniger.« Robin schwieg. Sie wollte Jan nicht unnötig in Verlegenheit bringen. Außerdem hatte sie das Gefühl, daß Jan mehr erzählen würde, wenn sie ihn einfach reden ließ. Sie hatte mit ihrer Frage irgend etwas in ihm angerührt.
    Jan riß einen Grashalm aus, steckte ihn zwischen die Lippen und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen die große Buche, in deren Schutz sie sich niedergelassen hatten, vielleicht zwanzig oder dreißig Schritte von der Kapelle entfernt und damit weit genug, um drinnen nicht gehört zu
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