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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt
Autoren: Ronald M. Hahn
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zu erkunden. Torku-hit verließ das Büro, begab sich auf den Korridor hinaus und verschloß, so gut das mit seinen begrenzten Mitteln möglich war, die halb zusammengefallene Tür des Seiteneingangs. Abgelenkt von dem summenden Geräusch der vor sich hin arbeitenden Fabrik, überließ er den Gefangenen seinem Schicksal und begann systematisch den Gang zu erforschen. Er zweifelte nicht daran, daß der Bursche im Büro liegenbleiben würde, denn seine Verletzung verhinderte, daß er auf die Straße zurückkroch.
    Warum schrie der Kerl eigentlich nicht um Hilfe? Ob dieses Verhalten etwas mit der Fabrik zu tun hatte? Warum hatte es eigentlich keine Reaktionen auf den Schußwechsel gegeben? Er hatte sich das Straßengefecht doch nicht eingebildet! Wieso war es nicht zu einem Menschenauflauf gekommen, als der Tunnel in sich zusammengestürzt war?
    Torku-hit hatte einige Schwierigkeiten, den mit allerlei abgewrackten Möbeln gefüllten Raum zu durchqueren. Vorbei an staubigen Statuen, die die Vorfahren des Firmeninhabers zeigten, bahnte er sich einen Weg und kam schließlich an eine eiserne Tür, hinter der sich die Produktionsstätten zu befinden schienen. Das Rattern und Stampfen der Maschinen wurde lauter. Schwere Ketten rasselten. Es quietschte, schmetterte und dröhnte in einem Rhythmus, der ihn an einen Totengesang erinnerte und die ganze Fabrik zum Vibrieren brachte.
    Die Tür war nicht verschließbar, stellte Torku-hit fest. Er bewegte sich weiter darauf zu, tauchte im Dunkel des Korridors unter und schob mit Gewalt beiseite, was sein Vordringen behinderte. Endlich legte er seine Hände gegen die Füllung.
    Er machte sich klar, daß nur ein geringer Druck genügte, um in die Produktionsstätte hineinzugelangen. Er hörte das Dröhnen der Motoren, als stünden sie direkt neben ihm. Aber anstatt auszuführen, was er vorhatte, machte er instinktiv einen Schritt zurück. In ihm war ein Impuls … Er mußte zurück! Irgend etwas stimmte mit dem Gefangenen nicht. Torku-hit drehte sich um und hetzte durch den vollgestellten Gang auf das Büro zu. Er hatte es noch nicht erreicht, als er in dem herrschenden Dämmerlicht die Gestalt des Burschen erkannte, der wie eine Riesenschlange, eine lange Blutspur hinter sich herziehend, über den Boden kroch, um den Ausgang zu erreichen. Als er Torku-hit erblickte, blieb er ungefähr einen Meter von der Bürotür entfernt liegen, als sei er gestorben.
    Torku-hit trat seinem Gefangenen so fest in die Seite, daß dieser sich vor Schmerzen aufbäumte. Er suchte geistesgegenwärtig nach einem Motiv für die Flucht. Er fand keins, denn draußen im Regen und in der Kälte gab es für einen Verletzten nicht die geringsten Entkommensmöglichkeiten. Der Bursche wäre, selbst wenn es ihm gelungen wäre, Torku-hit zu entkommen, dort draußen verblutet. Also hatte sein Unternehmen etwas anderem gegolten. Torku-hit schaute aus dem Fenster und sah auf dem Beton der Straße ein Gewehr liegen. Es war klar und von einer surrealistischen Deutlichkeit im Schein der Leuchtreklamen neben der Seitentür zu erkennen. Das also war der Grund gewesen. Der Bursche hätte ihn, kaum daß er von seiner Suchaktion zurückgekehrt wäre, über den Haufen geschossen. Verständlich, denn immerhin war er sein Feind.
    Als die rote Leuchtreklame sich wieder ausschaltete, sprang Torku-hit vor, ergriff rasch die Waffe und hetzte mit ihr in das Fabrikgebäude zurück. Der Bursche schaute zu ihm auf, und seine Augen waren dunkel. Er war offensichtlich wütend, weil sein geplanter Anschlag mißglückt war.
    Torku-hit packte ihn am Kragen und zerrte ihn wieder in das Büro zurück. Der Student versuchte wie ein Hund auf allen vieren von ihm wegzukriechen und wurde erst ruhiger, als er wieder zwischen den Papierstapeln in der schmutzigen Ecke lag.
    »Ich gebe auf«, sagte er mit einem unbestimmten Lächeln. »Es hat ja doch keinen Sinn.«
    Wieder eine brauchbare Information. Etwas, das ihm eine Chance gegeben hätte, existierte nicht mehr. Er sah hilflos und geschlagen, aber auch verbissen und undurchschaubar aus.
    Torku-hit fragte sich, wie es kam, daß man aus Leuten, die einer handwerklichen Tätigkeit nachgingen, stets mehr herauslesen konnte als aus diesen Intellektuellen, die sich auf die unsinnigste Weise dafür einsetzten, Althergebrachtes zu untergraben, und ständig vorhatten, der Welt ein neues Gesicht zu geben. Selbst einem Hilfsarbeiten ausführenden Dilettanten konnte man mehr an Information entnehmen als einem
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