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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt
Autoren: Ronald M. Hahn
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grenzenlose Geduld, auf ihren eigenen Tod zu warten.«
    Während Torku-hit den unlogischen und unsinnigen Worten des Gefangenen lauschte, schweiften seine Gedanken ab. Vor seinem inneren Auge tauchte wieder das Trainingslager auf. Die letzten Tests, die bis an die Grenzen menschlicher Belastbarkeit geführt hatten. Er dachte an die erlernte Verdrängung von Gefühlen bis zur Selbstaufgabe. Es war dem Imperium nie in erster Linie nur um eine rein technologische Vorherrschaft gegangen. Die Möglichkeiten des Menschen und das, was er ertragen konnte, waren ihm viel wichtiger. Als sie das Trainingslager betreten hatten, war jeder einzelne Kandidat mit gemischten Gefühlen dort erschienen. Romantik und Übermenschverhalten. Selbstüberschätzung. Fünfzehn Prozent von ihnen hatten den ersten Tag überstanden, hatte die offizielle Mitteilung gelautet. Drei seiner Kameraden waren bei unmenschlichen Folterungen gestorben. Der Test würde bis an die Grenze dessen gehen, was der menschliche Körper ertragen könne, hatten die Monitoren gesagt. Natürlich waren sie weiter gegangen als bis zu dieser Grenze, da sie, abgestumpft durch das Gewohnte, diese Grenze überhaupt nicht mehr sahen. Wer das Trainingslager überlebt hatte, war unbesiegbar. Es gab nichts mehr, was einem Angst machte.
    Männer, die mehr aushalten konnten als dieses schmutzige, blutende Kerlchen, hatten aufgegeben. Männer mit jahrelanger Ausbildung, die alle möglichen Vorbereitungen getroffen und die richtige Motivation besessen hatten. Torku-hit lehnte die schwere Rondix 20 gegen eine halbeingestürzte Regalwand und kniete sich neben dem jungen Mann nieder. Mit dem Dolch schnitt er dessen Hosenbein auf. Er blickte auf die Wunde. Das Schienbein des Burschen lag offen vor ihm. Es war ein schrecklicher Anblick, aber dennoch hatte der Bursche mit keiner Wimper gezuckt.
    »Du kannst mich umbringen«, sagte der Gefangene kühl. Jedes seiner Worte kam mit der kalten Präzision eines programmierten Roboters. »Ich bin lediglich das Glied einer langen Kette, die sich selbst regeneriert. Wenn du mich umbringst, spielt das überhaupt keine Rolle. Morgen abend wird die Gruppe mich suchen gehen. Verletzte bleiben immer dort liegen, wo sie getroffen wurden, ob sie sterben oder nicht. Jeder von uns weiß das vorher. Wer den nächsten Tag überlebt, hat seine Chance. Aber er muß am Leben bleiben. Leichen interessieren uns nicht mehr.«
    »Ich will jetzt vernünftig mit dir reden, Universitär«, sagte Torku-hit. Er war sich nun klar darüber, daß er die Initiative ergreifen mußte. Er hatte seine Ausbildung in Taten umzusetzen. Er mußte aus einem abstrakt denkenden einen konkret redenden Menschen machen.
    »Ich werde deine Wunde noch erweitern«, sagte er mit unpersönlicher Stimme. Wie jemand, der auf einem Flughafen die nächste Maschine ankündigte.
    Der Bursche wandte sich ab. Der Dolch schnitt durch das geschwollene Fleisch des verletzten Schenkels. Endlich zeigte der Bursche eine normale, menschliche Reaktion. Er schrie und heulte und hielt die blutverschmierten Handflächen gegen seinen Mund gepreßt, wand sich wie ein Rasender, zuckte auf dem Boden. Die Laute, die er ausstieß, waren in jenem tierischen Taranisch, vor dem sich Torku-hit ekelte. Nichts daran war verständlich. Die Wunde begann wieder zu bluten, während der Bursche beide Hände in die Kniekehle legte und fest zudrückte.
    »Wenn du jetzt immer noch nicht reden willst«, sagte Torku-hit, »nagele ich deine rechte Hand mit diesem Messer auf dem Fußboden fest.« Der Bursche stöhnte und jammerte immer noch.
    Nach einiger Zeit schien der Terrorist wieder ruhiger zu werden. Vielleicht hatte er sich auch abgekühlt. Es war schwer auszumachen, wie diese Untermenschen fühlten. Torku-hit merkte plötzlich überrascht, daß der Bursche geweint hatte. Deutlich waren in seinem schmutzigen Gesicht Tränenspuren zu sehen. Das war nicht nur anomal, sondern auch im höchsten Grade unlogisch. Wie konnte man gleichzeitig radikale Ziele verfolgen und dabei so emotional sein?
    Er sah dem Burschen an den Augen an, daß er im Begriff war, etwas zu sagen. Obwohl er imperialisch sprach, mußte sich Torku-hit die größte Mühe geben, etwas aus der heiseren Kehle zu verstehen.
    »Der Eindringling geht nur deshalb so rigoros vor, weil er Angst hat vor dem Unbekannten. Kandoran …«
    Er sprach mühsam und hatte offensichtliche Schwierigkeiten, bei Bewußtsein zu bleiben. Wahrscheinlich war er von dem Gedanken besessen,
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