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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt
Autoren: Ronald M. Hahn
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daß er sich eines Abends im Regen durch eine fremde Stadt würde schleichen müssen, daß es einen ernsthaften Angriff auf seine Truppe geben würde und er dadurch gezwungen wurde, teures und hochgezüchtetes Kriegsmaterial im Stich zu lassen.
    War deshalb etwas mit seinen Risikoberechnungen schiefgelaufen, weil er die verborgenen Reflexe des Menschen nicht in sie einbezogen hatte? Gora-gor hatte sich vor einem Jahr mit seinem Hosengürtel in der Kaserne aufgehängt. Er war einfach aus dem Videoraum, wo er ziemlich amüsiert einem Unterhaltungsprogramm gelauscht hatte, aufgestanden, war zur Latrine gegangen und hatte sich dort das Leben genommen. Er war ein wichtiger Offizier gewesen, den man niemals darüber klagen hörte, daß sie hier auf Taran isoliert waren. Es hatte noch andere Fälle menschlicher Unzulänglichkeit gegeben, und mithin war auch Torku-hit keine Ausnahme. Man konnte einfach nicht alles über Menschen wissen. Niemand war unfehlbar.
    Möglicherweise hatte Amarun bereits einen Rapport von Rora-da erhalten. Es war bisher nicht vorgekommen, daß die Garnison einen der ihren in der Stadt suchen mußte. Es war ein leichtes, den ganzen Komplex von außen her in Schach zu halten, aber sobald sie sich in das Labyrinth hineinbegaben, verloren auch diese Vernichtungswaffen ihre Macht. In einem Kampf Mann gegen Mann nutzten ihnen auch die allermodernsten Geschütze nichts.
    Torku-hit stand nachdenklich in der Finsternis. Ihm wurde klar, daß er in diesem Augenblick weniger allein war als der Mann dort draußen. Immerhin war er körperlich fit, und das Überraschungsmoment lag eindeutig auf seiner Seite. Die Tatsache, daß der Fremde draußen vor der Tür sich still verhielt, deutete darauf hin, daß er dafür einen Grund besaß. Warum war er nicht mit seinen schießenden Genossen verschwunden? Möglicherweise handelte es sich auch um einen Einzelkämpfer oder jemanden, den man verfolgte. Vielleicht war es aber auch einer von seinen eigenen Leuten, jemand von einer Panzerbesatzung, der genau wie Torku-hit dem Anschlag entgangen war und sich nun verirrt hatte.
    Wie auch immer, die Lage zwang Torku-hit zu einer schnellen Entscheidung. Die Geräusche der Fabrik würden seine Schritte dämpfen. Am besten würde es sein, wenn er ganz plötzlich die Tür aufriß und den Mann hereinzerrte. Dann ein schneller Schlag gegen die Kehle und die Augen. Und außerdem hatte er noch seinen Dolch.
    Konzentriert lauschte Torku-hit den Geräuschen der Fabrik und bemühte sich, sie nach und nach in den Hintergrund seiner Sinne treten zu lassen. Tatsächlich! Er hörte den Mann, der sich an den Türpfosten lehnte, schwer atmen. Er hatte sich also nicht geirrt; da war wirklich jemand. Es galt nun zu handeln.
    Und dennoch empfand Torku-hit seine eigene Situation als völlig absurd. Laut seiner Programmierung mußte er den Mann vor der Tür als Gegner des Imperiums ansehen. Er mußte ihn deswegen niedermachen – obwohl er selbst keinerlei Verbindungen mehr zum Imperium besaß. Trotzdem war er unfähig, einen anderen Weg zu gehen. Vielleicht leitete ihn auch nur ein unbestimmbarer Instinkt. Der Selbsterhaltungstrieb. Ging es ihm um das reine Überleben?
    Wie ein Wahnsinniger sprang er auf und schritt zur Aktion. Als der fremde Mann vor ihm lag, leichenblaß und mit blutbefleckten Händen, und Torku-hit ihn hineinriß in den von allerlei Unrat bedeckten Gang, erkannte er, daß es ein Verletzter war, der sich hier hatte verkriechen wollen. Ein Raubtier war er gewesen, ein wütendes, blindes Ungeheuer. Er hatte die Tür niedergerissen und blindlings mit beiden Händen nach dem gegen die Mauer gelehnten Schatten gegriffen, während seine Hände im roten Licht der Leuchtreklamen ihm wie schwarze, gekrümmte Klauen erschienen waren. Aber es hatte ebenso geklappt, wie es auch während seiner Ausbildung geklappt hatte. Erleichtert stellte er fest, daß er den Schock der Tunnelniederlage nun völlig überwunden hatte, daß sein Urteilsvermögen zurückgekehrt war und er wieder in den richtigen Bahnen denken konnte.
    Er schleppte den Körper des Fremden mit allem, was an Putzresten, Staub und Holzstücken an ihm klebte, durch den Gang in das kleine Büro hinein. Im Schein der roten Lichtflut, die in beängstigender Weise durch das kleine Fenster leuchtete und wie das Uhrwerk eines zum Tode Verurteilten an und aus ging, sah er das Gesicht seines Gegners. Der Mann war noch jung, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Das als Vermummung dienende
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