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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wird, wann – ich kann sie nicht verkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie kömmt gewiß, gewiß. Der Tod ist ein Bote des Lebens, und daß wir jezt schlafen in unsern Krankenhäusern, diß zeugt vom nahen gesunden Erwachen. Dann, dann erst sind wir, dann ist das Element der Geister gefunden!«
    Das genügt für einen Winter, mindestens. »Der Tod ist ein Bote des Lebens«, nicht schlecht, denke ich, Hölderlin, alle Achtung. Ich schlafe hier in meinem Krankenhaus des Winters und harre meines nahen Erwachens, Hölderlin, bring mich noch vier Wochen durch die Dunkelheit, noch drei, noch zwei, noch eine. Und dann, über Nacht gleichsam, bricht überall das Eis auf und draußen ist alles Licht und Wärme und Leben. Dachte ich jedenfalls, bis ich zu meinem Teich kam.
    Wie soll ich es sagen? Mit welchen Worten beschreiben? Das Bild der Traurigkeit. Meine Fische. Sie waren alle tot. Die beiden Karpfen und der Sterlet. Ich trieb mit einer Stange die Eisschollen auseinander, und da kamen sie hervor aus der Tiefe, sie stiegen an die Oberfläche, den geblähten Bauch nach oben gewandt. Sie waren blass und ihre Leiber faulten schon. Der Sensenmann hatte in meinem Teich reiche Ernte gehalten. Nun sah ich, dass er auch meinen Frosch nicht verschont hatte, den ich im vergangenen Herbst ausgesetzt hatte. Die Fische, der Frosch. Überall der Tod im schwarzen Wasser.
     
     
     
    Bei Gott, dachte ich! Ich wusste schon, warum ich vom Schaudern der Furcht erfasst worden war, als ich mich über die Löcher beugte, die ich zuvor ins Eis geschlagen hatte. Ist es ein Trost, dass es mit den übrigen Berliner Gewässern nicht viel besser stand? »Fast alle Fische tot«, las ich nur einen Tag später in der Zeitung. Fast? Bei mir alle! »Wochenlang kämpften sie im harten Eis-Winter ums Überleben. Am Ende erstickten sie qualvoll.« Ja, so muss es sich zugetragen haben. Ich hatte den Teich mit Bedacht so tief angelegt, dass er nicht zufrieren konnte. Aber dennoch hatte sich unter der weißbeschneiten Stille, die ich im Winter von der warmen Stube aus betrachtete, in Wahrheit eine ökologische Katastrophe abgespielt: Durch das dicke Eis drang kein Licht mehr in die Tiefe, die Pflanzen starben, den Fischen ging die Luft aus.
    »In vielen Bereichen bleibt dem Ökosystem nur der Neustart«, las ich also in der Zeitung. Neustart? Meine Fische sind tot. Mein Frosch ist tot. Und die Zeitung empfiehlt den Neustart? Leben bedeutet Sterben, und Nehmen bedeutet Geben. Paulus sagt: Der Tod ist der Sünde Sold. Aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben. Warum meine Fische? Haben auch sie gesündigt? Warum ereilt der Tod auch sie?
    Im ersten Garten der Geschichte, dem Paradies, starben die Tiere eigentlich nicht. Der Tod hatte an diesem Ort der Vollkommenheit keinen Zutritt. Andererseits verstand es sich von selbst, dass die wahre Unsterblichkeit Adam und Eva – den Ebenbildern Gottes – vorbehalten bleiben musste, die sie bekanntlich mit dem Sündenfall verspielten. Augustinus schlug darum vor, dass die Tiere – »wenn das äußerste Alter ihre Auflösung mit sich gebracht hätte« – »sich in dem Gefühl ihres herannahenden Todes von dort entfernt hätten, damit nur ja kein Lebewesen am Ort des Lebens den Tod erleide«.
    Das war sehr taktvoll von den Tieren und ich wünschte mir, meine Fische hätten es ähnlich gehalten. Ich stand über ihnen und blickte auf ihre weißen Leiber und dachte, dass die Natur zyklisch ist und wiederkehrt, dass aber der Mensch nicht zyklisch ist, sondern stirbt und alles, was er tut, ein Sichauflehnen gegen dieses Sterben ist, das ihn am Ende unweigerlich ereilt. Auch die Arbeit im Garten. Natürlich. Vor allem die Arbeit im Garten.
     
    Oft noch berühre du mich,
    Tod, wenn ich in mir zerrinne,
    Bis ich mich wieder gewinne
    Durch den Gedanken an dich!
     
    Irre, sagte ich. Und meine Kinder, die ich herbeigerufen hatte, fragten, was denn irre sei. Aber statt zu antworten, bat ich sie, die traurige Pflicht der Bestattung zu übernehmen. Sie tun das gerne. Es macht ihnen nichts aus. Wir hoben ein Loch aus, dort, wo auch die Meerschweinchen liegen. Wir begruben die Fische und den Frosch gemeinsam und pflanzten ein Kreuz aus Weidenholz auf das Grab.
    Vielleicht stelle ich eines Tages noch einen kleinen Grabstein dazu und schreibe darauf die Zeilen aus dem Brecht-Gedicht:
     
    Und der Himmel war abends dunkel wie Rauch
    Und hielt nachts mit den Sternen das Licht in Schwebe.
    Aber früh war er hell, dass es auch
    Noch für
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