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Die Supermarkt-Lüge

Die Supermarkt-Lüge

Titel: Die Supermarkt-Lüge
Autoren: Jörg Zipprick
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­Sesamkörner auf den Burger-Brötchen klebt der Food­stylist von Hand auf genau ausgewählte Stellen. Zu ­guter Letzt werden die Farben der Lebensmittel mit Hilfe ­entsprechender Bildbearbeitungsprogramme noch mal aufgefrischt. All diese Methoden sind seit Jahrzehnten ­bekannt, sie werden in Büchern beschrieben und in Foodstyling-Seminaren gelehrt.
    Schauspielerin Kate Beckinsale soll einmal gesagt haben: ­»Jeder ist retuschiert, gestreckt, gedehnt, abgespeckt und optisch getrimmt. Ich könnte ein altes Bild von mir anschauen und mich fragen: ›Warum sehe ich jetzt nicht so aus?‹ Ganz einfach: Weil ich nie so ausgesehen habe.« Genau das trifft auf Karotten, Zucchini, Kabeljau und Grillhähnchen auch zu. Unser »Bild« vom Essen ist deshalb von Grund auf verfälscht. Nie wird unser selbst zubereitetes Gemüse, werden unsere Steaks und Fischfilets so photogen schimmern wie auf Lebensmittelpackungen und den Hochglanzseiten von Kochbüchern.
    Und so lautet unabhängig vom Produkt in den meisten Fällen die Devise: Trau keinem Bild!
    Unsere anderen Sinne, die uns wirklich Aufschluss über die Qualität dessen geben können, was wir da kaufen, werden tunlichst nicht berücksichtigt in dieser Verkaufs­maschinerie … Zunge und damit der Geschmack von Lebensmitteln kommt erst ganz am Schluss. Schließlich kosten wir nicht jedes Päckchen und Döschen, das wir in den Einkaufswagen legen. Selbst das Wurstscheibchen an der Metzgertheke gehört heute meist der Vergangenheit an.
    Auch der Tastsinn kommt nicht mehr zum Zuge. Wir berühren Lebensmittel nur noch selten: Im Käseladen, einem Fachgeschäft, werden Käse wie zum Beispiel Camembert noch durch einen Druck auf die Außenseite der Rinde geprüft. Heute können selbst Käse-Experten dem prüfenden Druck keine Informationen entnehmen. Ähnlich sind die Zustände an der Fleischtheke. Wann hatten sie das letzte Mal eine wirklich harte »Hartwurst« in der Hand? Solche Würste sollten auf Daumendruck nicht nachgeben. Sollten. Denn Hartwürste müssen trocknen und trocknen bedeutet längere Lagerzeit. Natürlich kostet eine längere Lagerzeit auch mehr Geld, und dieses will kaum ein ­Hersteller ausgeben.

    Wie wir kaufen entscheidet, wie viel wir kaufen
    Wenn Sie tatsächlich immer nur kaufen, was gerade auf ihrem Einkaufszettel steht, sind sie ein atypischer Kunde. Etwa 70 Prozent der Kaufentscheidungen werden erst im Markt selbst getroffen. Bereits in die gestalterische und bauliche Planung des Supermarkts fließen deshalb Forschungsergebnisse ein, wie der Kunde animiert werden kann, möglichst viel zu kaufen.
    Das geschieht im Großen – in der Anordnung der verschiedenen Regale, Kühltheken, Stände im Raum – und im Kleinen – in der Anordnung der unterschiedlichen ­Artikel innerhalb eines Regals.
    Ein Kunde, der den Supermarkt betritt, wird zunächst einmal in Ruhe gelassen. Der Eingang der meisten Supermärkte ist frei von Sonderangeboten oder sonstigen Blickfängern. Dekompressionszone oder Bremszone nennen Fachleute dieses etwa fünf Schritte umfassende Areal. Tests haben nämlich erwiesen, dass hier aufgestellte Waren wenig beachtet werden. Ein Drehkreuz oder ein paar Aufsteller verlangsamen die Schrittgeschwindigkeit von »Gehsteigtempo« auf »Shoppingtempo«. Der Kunde soll stöbern und nicht durch den Markt stürmen.
    Außerdem muss der Kunde hier eine für sein Einkaufsverhalten folgenreiche Wahl treffen: Einkaufswagen, Einkaufskorb oder Hände? Wer sich für Letztere entscheidet, wird tatsächlich nur einkaufen, was er mit den Händen tragen kann. Und wenn er nicht zufällig zwei Flaschen Champagner erstehen will, wird nur wenig Umsatz für den Markt generiert.
    Der Einkaufskorb , sofern es ihn noch gibt, ist eine Zwischenlösung. Er fasst zwar mehr als zwei Hände, doch er füllt sich schnell – und er wird mit jedem Artikel schwerer. Unweigerlich hat der Korbeinkäufer irgendwann von selbst genug, zumal er weiß, dass er dieses Gewicht auch nach dem Verlassen des Supermarkts noch ein wenig mit sich herumschleppen muss – mindestens bis zum Auto oder sogar bis nach Hause. So ein Korb ist also keine ­Ideallösung für den Markt. Wenn es ihn gibt, dann nur, um zu vermeiden, dass zu viele Einkaufswagen die Gänge verstopfen. In letzter Zeit werden die
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