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Die Supermarkt-Lüge

Die Supermarkt-Lüge

Titel: Die Supermarkt-Lüge
Autoren: Jörg Zipprick
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kaufen die Leute eher (teuren) Wein als (günstiges) Bier. »Klassische Musik wird in unseren Köpfen mit vielen Dingen verknüpft«, behauptet North. »Wir fühlen uns raffinierter, schicker, gebildeter und damit reicher, wenn wir sie hören. Deshalb geben wir dann gern etwas mehr aus.«
    Sicher verhält sich nicht jeder Kunde gemäß Norths Theorien. Dennoch gelang es dem Psychologen, die Kaufvorlieben der Kunden über die normale Fehlerquote von Statistiken hinaus zu ändern.
    Â»Verkaufspsychologie« klingt oft wie eine Summe von Verallgemeinerungen, doch tatsächlich muss die Musik nicht allen Kunden gefallen; schon 51 Prozent Zustimmung reichen für einen potentiellen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus.
    Während wir durch die Musik also unbewusst schon emotionalisiert und in Kaufstimmung versetzt worden sind, erfolgt gleichzeitig ein Angriff auf unsere Nase. Warum riecht es an jedem Ort, wo blasse Teiglinge aus der Fabrik aufgebacken werden, stets wie in der feinsten ­Bäckerei der Stadt? Weil diese Ecke mit sogenanntem ­Brioche-Spray regelrecht eingenebelt wird. Der Geruch kommt aus der Klimaanlage, aus Rohren oder aus einem Gerät, das wie ein Lautsprecher aussieht. Hergestellt wird dieser »appetitliche« Backwarengeruch im Labor mit Hil fe von Schimmelpilzen auf Holzwolle. Er kostet fast nichts und die Kunden lieben ihn. Unternehmen wie der Schweizer Aromengigant Givaudan haben sich teilweise Tausende solcher Aromen patentieren lassen. Denn neben dem Duft nach Frischgebackenem gibt es auch Aromen, die nach Gemüse, Obst oder Meeresfrüchten riechen.
    Vertrieben werden diese Düfte auch durch einen alten Bekannten: das Unternehmen Mood Media und seine Berater. Ihre Dienstleistungen beschreiben die Hamburger mit folgenden Worten: »Intelligentes Duftmarketing ­steigert den Umsatz über den olfaktorischen Kanal. Sorgfältig ausgewählte Düfte schaffen starke, positive Verbindungen zu Ihrer Marke […].« Und: »Studien […] zeigen, dass die Schlüsselfaktoren, die von den Konsumenten berücksichtigt werden […], Geruch, Sauberkeit, Raum und ­Musik sind. Gefühle des Wohlbefindens und der Harmonie […] lassen uns reagieren, ohne darüber nachzudenken …«
    Mit dem richtigen Duft in der Nase und der richtigen Musik im Ohr sind wir schon auf dem besten Wege, mehr Geld auszugeben, als wir vorhatten.
    Jetzt werden unsere Augen angesprochen: Lebensmittel beurteilen wir zuallererst nach ihrem Aussehen . In unseren Einkaufskorb wandert, was uns optisch anspricht. Für den Hersteller ist das ein Problem, da viele industriell hergestellte Lebensmittel nicht gerade photogen sind. Also muss nachgeholfen werden, beispielsweise mit einem schönen Bild auf der Verpackung.
    Wer kennt das nicht: Auf der Packung glänzten die Gemüse knackig-frisch, das Fischfilet schimmerte perlweiß und die Buletten wirkten, als wären sie gerade von einem argentinischen Grill gehopst. Die üppig belegte Pizza sah aus, als hätte sie der beste Pizzaiolo von Napoli persönlich in den Ofen geschoben. Jetzt aber liegt ein gefrorener Block in der Pfanne, der im besten Falle an Astronautennahrung erinnert …
    Food-Photographie ist heute aufwendiger als manche Modeproduktion. Apfelscheiben beispiels­weise laufen im Naturzustand braun an, Feuchtigkeit verfliegt, warme Gerichte kühlen aus. Diese Wirklichkeit ist nicht attraktiv, deshalb soll kein Bild sie zeigen. Und so wird beim ­Essen stark nachgeholfen: Deospray verleiht Trauben eine zartweiße Schicht, die für Frische steht. Haarspray frischt Tortenstücke auf. Glyzerin gibt Meeresfrüchten einen feuchten Schimmer. Der Farbe von Fleisch wurde früher auch schon mal mit Schuhcreme nachgeholfen und heute kommt zuweilen ein Bunsenbrenner zum Einsatz. Nudelgerichte erhalten photogenen Dampf durch wassergetränkte Wattebäuschche, die unter die Pasta gemischt werden. Schiebt man die Mixtur in die Mikrowelle, dampft das Gericht danach verführerisch. Salate werden photogen zurechtgestutzt und selbst die Löcher im Käse werden mit einem Knochenschaber für die Bilder in Form gebracht. Vanilleeis ist in Wahrheit Kartoffelpüree oder ein selbst angerührter Stärkemix – Hauptsache, es schmilzt nicht. Hohe Fertiggerichte wie etwa Hamburger werden durch ein Kartongestell und Zahnstocher gestützt. Und die
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