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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Kontrolle in einer Woche. »Und wenn Sie nicht kommen, bestätige ich Ihnen gar nichts mehr«, sagte er. Schmidinger faltete das Rezept, steckte es ein und erhob sich. »Danke«, sagte er, »ganz herzlichen Dank.« Als er ging, grinste er immer noch schief.
    Horn riss das Fenster auf. Draußen fuhr ein Container-LKW mit aufgemalten Karotten vor. Schmidinger würde vermutlich nicht kommen. Er hatte das Rezept und würde damit seine Behandlungswilligkeit nachweisen, wenn es irgendjemand von ihm verlangte.
    Er macht mich rasend, dachte Horn, als er hinausging, ich versuche mich dagegen zu wehren, aber er macht mich wirklich rasend. »Wenn die Polizei nach ihm fragt«, wies er Linda an, »kriegen sie ausnahmsweise jede Auskunft.« Linda war damit hundertprozentig einverstanden. »Dafür gibt’s nachher Kekse«, sagte sie. Wonach es Horn in diesem Moment am allerwenigsten gelüstete, waren Kekse. Jetzt würde ich sie gerne angreifen, dachte er.
    Der Neue wirkte panisch. Vielleicht dreißig Jahre alt, blass, in Hemd, Sakko und einer Cordhose, die nicht dazupasste. Er setzte sich erst, als Horn ihm versicherte, es werde ihm unter Garantie nichts passieren. Er erinnerte ihn an jemanden. Horn kam nicht drauf. »Sind hier drin Tiere?«, fragte der Mann, »sagen Sie mir bitte, ob in diesem Raum Tiere sind!« Horn schüttelte den Kopf. Manche Dinge entschlüsselten sich rasch. »Wie lange haben Sie keinen Alkohol mehr getrunken?«, fragte er. Der Mann zuckte zusammen, dann schaute er Horn direkt an. Mit einem Mal wirkte er ziemlich entlastet. »Wie kommen Sie drauf?«, fragte er. »Wenn das Elend groß genug ist, glauben die Leute immer, sie sind damit allein«, sagte Horn. Dann erzählte er von den jungen Herren, die den Stress vom Arbeitsplatz mit nach Hause nehmen und erst loslassen können, wenn sie sich ein paar Gramm Alkohol genehmigt haben, die, sobald mit der Position der Druck steigt, auch untertags auf dieses bewährte Mittel zurückgreifen und sich zeitlich gut verteilt die Schnäpse hinter die Binde gießen, die schließlich während des Weihnachtsurlaubes, weil auch das Spielen mit den Kindern und das Schlafen mit der Frau entspannt, auf die Zufuhr dieser paar Gramm Alkohol vergessen. »Und schon schickt ihnen das Hirn die weißen Mäuse vor die Kamera«, sagte Horn. Er holte ein Fläschchen Diazepam-Lösung aus dem Schrank und zählte fünfundvierzig Tropfen in einen kleinen Becher. »Sie schlucken das jetzt und setzen sich noch einmal für zwanzig Minuten in den Warteraum«, sagte er, »dann sehen wir weiter.« Der Mann machte den Eindruck, als wäre er auch bereit gewesen, zwanzig Minuten lang die Luft anzuhalten, wenn man es von ihm verlangt hätte. Er zitterte zum Gotterbarmen, als er hinausging.
    »Er erinnert mich an jemanden«, sagte Horn und steckte sich ein Aniskeks in den Mund. »Pippin«, sagte Linda.
    »Wie bitte?«
    »Er sieht aus wie Pippin, dieser eine Hobbit aus dem ›Herrn der Ringe‹. Eine Spur größer vielleicht.« Ein Bild erhob sich vor Horns innerem Auge. Ein kleiner Mann mit einem ziemlich verzweifelten Lächeln. Linda hatte recht, ohne Frage. Er selbst hatte den dritten Teil gemeinsam mit Tobias im Kino gesehen. Am Ende war Tobias bei weitem frischer gewesen, obwohl er sich den gesamten Marathon reingezogen hatte. Zehn Stunden am Stück.
    »Säuft Pippin?«, fragte er. »Sicher«, sagte Linda, »jeder Hobbit säuft. Würden Sie nicht saufen, wenn Sie ein Hobbit wären?« Darauf wusste Horn nichts zu sagen. Außerdem wehte soeben Heidemarie herein. Sie trug einen grauen Webpelzmantel und ein dunkelrotes Stirnband. »Eine Elbenprinzessin«, murmelte Linda. Er hatte keine Ahnung, ob sie eifersüchtig war. Den Spruch von den väterlichen Gefühlen konnte man sich bei ihr jedenfalls sparen, das stand fest.
    Heidemarie sah verweint aus. Es stellte sich heraus, dass sie einige schlaflose Nächte hinter sich hatte, voll von Stunden, in denen ihre Gedanken am Ende immer um Fragen der Zuverlässigkeit diverser Selbstmordmethoden gekreist waren. Zu Weihnachten hatte sie von ihren Eltern Geld bekommen, eine mittlere Summe, in einem fleckigen Briefkuvert, begleitet von dem Kommentar, so sei es am einfachsten, bei ihr müsse man sowieso immer damit rechnen, dass sie die Dinge, die man ihr schenke, ablehne. »Sie können nicht anders«, sagte sie, »gegenseitig schenken sie sich gar nichts.« Schon vor Jahren hätten sie das so ausgemacht. Wahrscheinlich fußen die meisten Beziehungen in Wahrheit auf
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