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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens
Autoren: Paulus Hochgatterer
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dem wissen, was sie erwartet. Eigentlich könnte man die zwei nehmen, einen links, einen rechts, mit ihnen auf den Hügel hinter dem Haus steigen und auf die Stadt hinabschauen. Dann könnte man eine Schneehöhle graben, mit vorne einem Guckloch, und drin Tee kochen und Weihnachtskekse essen, aber nur die winzigen Musikinstrumente aus Blätterteig mit Staubzucker obendrauf.
    Es wird den Stöpsel und den Soldaten wieder auf ihre Felder stellen, versprochen, den Stöpsel genau vor den Stall und den Soldaten vier Schritte dahinter, so als wäre nichts gewesen; der Großvater wird die Jacke ablegen, ihm dabei den Rücken zukehren, und es wird die beiden hinstellen, ganz leise und geschwind.
    Das Kind klettert von der Bank, die rechte Hand um die Spielfiguren geschlossen, geht schräg durchs Zimmer, nimmt die neue grüne Steppjacke mit den Eichhörnchen drauf vom Hocker neben der Kommode und schlüpft hinein.
    Draußen ist es kalt. Der Mond leuchtet so hell, dass die Schneefläche zwischen der Haustür und dem Vogelkirschbaum aufstrahlt wie die Milchglaskugel im Badezimmer. Der Pfad zum Haus hinüber ist breit ausgetreten wie immer. Nach links führen andere Spuren weg; die sind neu. Das Kind steigt in die Fußstapfen. Sie liegen nicht so weit auseinander, wie wenn der Großvater alleine vor ihm hergeht.
    Ein blaues Pferd kommt über die Kuppe hinter der Scheune galoppiert. Der gelbe Stöpsel sitzt drauf und lacht. Er streckt dem Kind seinen glatten Stöpselarm entgegen und hilft ihm hinauf. Sie reiten über die dreieckige Wiese, geradeaus bis zur Spitze, wo der große Wacholderbusch steht, vorbei an dem alten Stapel aus Fichtenscheiten bis zu jenem Punkt, an dem der Weg frei ist, nach links in die Stadt hinab und nach rechts in die Berge. Der Schnee stiebt auf. Der gelbe Stöpsel hinter dem Kind fühlt sich warm an wie ein Heizkörper.
    Die Spur führt das Haus des Großvaters entlang bis zur Buchsbaumhecke. Das Kind bohrt einen Finger in die Schneehaube, die obenauf liegt. Eine Raupe könnte kommen, in das Loch kriechen und sich schlafen legen. Das Kind schnuppert. Im Winter stinkt der Buchsbaum nur ganz wenig. Ein Rest von Kakao liegt ihm im Rachen. Das ist gut. Wo die Spur zu einem flachen Bogen nach rechts ansetzt, wird etwas anders. Ein Motorengeräusch brummt auf. Das Kind schaut nach oben, denn es ist sicher, dass sich gleich ein Hubschrauber über die Scheune erheben wird. Es wird mit beiden Armen winken, das macht man so. Der Hubschrauber kommt nicht, und das Geräusch entfernt sich wieder. Das Kind stapft noch einige Schritte, dann steht es vor einer ausgefahrenen Doppelspur, die von einem Auto stammt oder von einem Traktor. Es nimmt die rechte Furche und geht auf das schwarze Viereck der Scheune zu. Seitlich davon tauchen im Mondlicht das Schneekind und der Schneehund auf, die sie gemeinsam vor zwei Tagen gebaut haben. Alles ist noch da, die Mütze, der Besen, die Kastanie, die als Schnauzenspitze vorne drauf hockt. Das Kind stellt sich dazu, eng neben den Hund, reckt den Arm zur Seite, als hätte es auch einen Besen in der Hand. »Jetzt sind wir zu dritt«, sagt es. Es dreht sich herum und herum und fühlt sich zufrieden, so als würde die ganze Welt es betrachten. Dann weiß es plötzlich, dass es noch ein Stück gehen muss. Vor ihm, auf der sanft geneigten Auffahrtsrampe zum Scheunentor, befindet sich etwas. Es ist kein Schneemann.
    Es liegt da wie jemand, der im Schnee den Adler macht, die Arme breit wie Flügel. Es schluckt das Mondlicht. Das Kind stellt einen Fuß neben den anderen. Dann bückt es sich. Die schwarzen Schnürstiefel sehen aus wie jene des Großvaters. Die Hose ist dunkelgrün, wenn man die Augen ganz nahe ranrückt. Die Hose ist unten eine Handbreit aufgekrempelt. Die Jacke aus dem groben hellbraunen Stoff, der hundert Jahre lang hält. Fast alles passt. Keine Handschuhe. Fast alles. Die Arme, die Schultern, der Kragen. Wo der Kopf hingehört, ist er nicht. Selbst ein Stöpsel hat dort einen Kopf. Das Kind beugt sich tief hinunter. Es ist nicht so, dass der Kopf fehlt. Wo er sein sollte, rund und aus dem Boden ragend, ist etwas Flaches. Das Flache liegt in einer Grube und ist ganz schwarz. Das Kind streckt den Zeigefinger vor und tupft in die Mitte, dorthin, wo es ein wenig silbrig schimmert. Das Kind erschrickt. Das Silbrige fühlt sich feucht und zugleich hart an. Das Kind richtet sich auf und geht zurück.
    Erst die Wagenspur, dann die Fußstapfen. Das Schneekind, die Kastaniennase,
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