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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens
Autoren: Paulus Hochgatterer
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merkt man, wie viele Abstufungen die Farbe Schwarz hat. Sogar die Ränder des Weges sind auszumachen, die kahlen Zweige vor dem Himmel sowieso. In den Linden und Kastanien des Parks sitzen um diese Zeit die Krähen und schlafen.
    Father of cold and Father of heat. Ständig, denkt er, ununterbrochen. Heiß und kalt. Das ganze Leben lang. Er wird sie zu sich holen, beide, irgendwann einmal, und keiner wird es wagen, etwas dagegen zu sagen. Es wird ein sonniger Tag sein, sie werden mit der Bahn kommen, und wenn er sie abholt, werden sie ihm entgegenfliegen, direkt in die ausgebreiteten Arme.
    Laternenhelligkeit. Links die Holzbrücke, über die man zu den Spazierwegen nördlich des Flusses gelangt. Sie ist nachts durchgehend beleuchtet, seit vor einigen Jahren der alte Schöffberger ihren Beginn verfehlt hat und über die Böschung in den Fluss gestürzt ist. Geradeaus das Rafting-Camp, vielleicht zweihundert Meter weit weg. Das flache Satteldach des Schuppens hebt sich ein wenig vom Hintergrund ab. Der Anbau mit Büro und Umkleideräumen ist nicht auszumachen.
    Er schwenkt nach rechts. Die Imhofstraße, benannt nach einem früheren Bürgermeister. Die Fahrbahn ist geräumt. An der Nordwestecke des Friedhofes beginnt ein Gehsteig, der dicht mit Kies bestreut ist. Friedhöfe werden zu jeder Jahreszeit besucht. Father of minutes, Father of days. Winterbegräbnisse. Den rot-weißen Minibagger hat Weinstabel, der Totengräber, zu Hause in seiner Garage stehen. Er liebt es, sich durch die Schicht gefrorener Erde zu graben, und führt Aufzeichnungen über ihre Dicke. Linierte Hefte mit orangerotem Umschlag. Manche Leute behaupten, er verfertige jeweils links seine Listen und beschreibe auf den Seiten gegenüber den Verwesungszustand von Leichen; darüber hinaus besitze er eine riesige Sammlung knöcherner Schädel, aber derartige Geschichten existieren vermutlich über jeden Totengräber.
    Das Plakat neben der Tür. Die Regel. Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen. Der Nachtläufer. Das wäre ein Name. Der zentrale Satz, der eindringt und einen am Leben erhält. Ab einem bestimmten Zeitpunkt geht er dann am Bewusstsein vorbei.
    Er überquert die Hauptstraße, nimmt die Bahnunterführung, läuft die riesigen Hallen des Sägewerks entlang, dann durch eine Reihenhaussiedlung. Hinter zwei Fenstern ist das blaue Flimmern von Fernsehapparaten zu sehen. In der Grafenaustraße kommt ihm nach einigen hundert Metern ein Auto mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegen. Er hebt die Hand vor die Augen und reckt den Mittelfinger hoch, als der Fahrer nicht reagiert. Der Motor klingt wie von einem Panzer. Im Hinterherblicken meint er zu erkennen, dass es sich um ein Abschleppfahrzeug gehandelt hat. Eine alte Type, eine ganz alte Type. Auch in der Nacht passieren Pannen, denkt er.
    Die Fleischerei, der Secondhandshop, der Esoterik-Laden mit den gelb-grünen Spiralen an der Fassade. Der Kastenwagen von Marlene Hanke, der Secondhandshop-Besitzerin. Zwei Motorräder, die er nicht zuordnen kann. Kurz vor dem Bahnübergang die Vorstellung, die Signalleuchte beginne plötzlich zu blinken, der Schranken gehe runter, und dann brause ein rätselhafter Zug daher, riesig und eisverkrustet, wie aus einem dieser Filme über Sibirien oder Alaska.
    Wenn links vor ihm schemenhaft die Kronen der Rathausplatzlinden auftauchen, fühlt er sich besser, es ist immer das Gleiche.
    Father of white, Father of black.
    Wenige Dinge weiß ich sicher, denkt er: Ich heiße Joseph Bauer. Ich lebe in einer verworrenen Welt. Ich habe ein Gelübde abgelegt. Ich sage auswendig Sätze auf. Ich laufe.

Zwei
    Die Tage, an denen sich schon am Morgen der Nebel über die Stadt schob, verliefen in der Regel eigenartig. Die Leute waren angespannt, die Autofahrer vergaßen die Scheinwerfer einzuschalten, und man hatte absurde Déjà-vu-Erlebnisse. Die Luft fühlte sich kälter an, als sie war. Die Stämme der Bäume glänzten schwarz. Der See lag da und gab keinerlei Geräusch von sich. Das irritierte, ohne dass es einem bewusst wurde.
    Horn war zu Fuß unterwegs. Üblicherweise nahm er das Rad, doch Martin Schwarz, sein Nachbar, war am Vortag mit dem Schneepflug gefahren und hatte die Fahrbahn spiegelglatt abgezogen. Er hatte es gut gemeint und vermutlich keine Sekunde an die Haftfähigkeit von Fahrradreifen gedacht.
    In den abschüssigeren Passagen rutschte Horn trotz der Profilsohle seiner Winterstiefel immer wieder weg. Er wich ins Gelände aus, sooft er konnte. Der Schnee schob
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