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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel
Autoren: Charlotte Link
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ihr auch gleich.
    »Wann trifft dein Mann ein?« fragte er nun. »Ich meine, wann genau?«
    »Um Viertel vor drei«, sagte Janet.
    »Aha.« Andrew nahm sich vor, spätestens um halb drei zu seinem Gate zu verschwinden. Sein Flug nach London ging zwar erst um vier, aber er hatte nicht das mindeste Bedürfnis, Phillip über den Weg zu laufen. Phillip kam nach Nizza, um gemeinsam mit Janet alles für den Verkauf des Hauses in Duverelle in die Wege zu leiten. Sodann würden sie beide zusammen mit ihren toten Söhnen nach Hamburg zurückfliegen. Dann... was dann kam, wußte niemand. Janet nicht, Andrew nicht, Phillip sicher auch nicht. Es war nicht der Zeitpunkt, zu dem einer von ihnen etwas über die Zukunft hätte sagen können.
    Andrew nahm einen Schluck von seinem Kaffee, der kalt geworden war, und zündete sich die nächste Zigarette an. Er betrachtete Janet. Sie wirkte entrückt, erstarrt, versunken in sich selbst. Ihr Gesicht war kreideweiß. Die Haare, struppig und ungebürstet, hatte sie mit einem Gummiband
am Hinterkopf zusammengezwirbelt. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen und neben sich auf den Tisch gelegt, und ihre Augen schienen heiß und trocken, wie bei einem Menschen, der Fieber hat.
    Andrew wußte, sie würde ihm nie verzeihen, daß er ihren Sohn erschossen hatte, sie würde ihm keinerlei mildernde Umstände zubilligen, würde nicht annehmen, daß er die Situation falsch eingeschätzt und gemeint hatte, nur so und nicht anders handeln zu können. Es war, als sei jene Kraft in ihr, mit der sie auch in den jungen Jahren an ihm festgehalten hatte, als er sie nachlässig und verletzend behandelt hatte, getötet worden. Es gab keinerlei Bereitschaft mehr in ihr, zu verstehen und zu verzeihen.
    Er fragte sich, ob er ihr dies voraus hatte. Verstehen und Verzeihen. Er konnte nicht begreifen, was sie getan hatte, und womöglich war auch er nicht im geringsten gewillt, es zu verzeihen. Es hatte ihn tief schockiert, ihr Geständnis zu hören - wobei sie ihre Aussage ihm gegenüber sicher nie als Geständnis gewertet hätte, sondern als die einfache Schilderung eines logischen Sachverhaltes, den jeder begreifen mußte.
    Irgend etwas Düsteres hatte Andrew geschwant nach ihrer geheimnisvollen Aussage, nachts vor der brennenden Hütte in den Bergen. Ein Anflug von Begreifen, eine Wahrheit, zu erschütternd, als daß er ihr gestattet hätte, wirklich bis zu seinem Verstand durchzudringen. Sie waren bei der Polizei gewesen, waren verhört worden, hatten stundenlange Erklärungen abgegeben, und die ganze Zeit über hatte Andrew gewußt, daß Janet den Beamten gegenüber nicht die Wahrheit sagte. Als man sie schließlich hatte gehen lassen, waren sie zu Tode erschöpft und gleichzeitig so überreizt gewesen, daß sie wußten, an Schlaf war nicht zu denken. Man hatte ihnen erlaubt, im Ferienhaus zu wohnen; die Spurensicherung war dort
bereits tätig gewesen. Sie setzten sich ins Wohnzimmer, fröstelnd, verstört, zerschlagen, und irgendwann fragte Andrew, was sie damit gemeint hatte - Maximilian sei seit Jahren nicht mehr in der Klinik gewesen...?
     
    Er würde nie dieses Wohnzimmer vergessen mit den gerahmten Familienphotos - Janet, Phillip und die Zwillinge - im Regal. Nie die Nacht jenseits der Fenster, die sich langsam gegen Morgen hin erhellte. Nie Janets zusammengekauerte Gestalt auf dem Sofa, ihr blasses, müdes Gesicht.
    »Wir hatten uns soviel erhofft von der Klinik, der Therapie. Es war klar, daß Maximilian krank war, psychisch krank, und uns war ein Stein vom Herzen gefallen, als der Richter ihn nicht ins Gefängnis schickte. Daran, das wußten wir, wäre er zerbrochen. Wir setzten alle Hoffnung auf den Professor und auf dieses schöne, alte Haus inmitten der herrlichen Natur. Mit wir meine ich Mario und mich. Phillip war aus der Sache längst ausgestiegen. Er ist der perfekte Verdränger, das haben wir ja schon früher gemerkt, nicht? Er verdrängte auch diesmal, was da so brutal in unser Leben eingebrochen war, und ging daran, alles neu zu ordnen, ein Dasein ohne Vergangenheit für uns zu schaffen. Wir mußten nach Hamburg umziehen und von vorne anfangen, und es kostete mich alle Überredungskraft, daß Maximilian nicht in Süddeutschland zurückbleiben mußte. Der Klinik in Schleswig-Holstein hat Phillip nur zähneknirschend zugestimmt.«
    Sie hielt inne, ihr Blick wanderte zu einem der Familienbilder, hielt es für einen Moment fest, schweifte wieder ab. Sie sah Andrew nicht an, betrachtete einen
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