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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel
Autoren: Charlotte Link
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für sie sowieso immer nur etwas Willkürliches gewesen.«
    Andrew schüttelte den Kopf. »Spiel es nicht herunter. Ein Wesen...! Sie waren eben nicht ein Wesen. Der eine von ihnen war schwer krank und gefährlich. Der andere war gesund. Der eine drehte fast durch in der Klinik, der andere konnte es offenbar aushalten. Sie sind zwei völlig voneinander getrennte, unterschiedliche Menschen. Alles andere ist Unsinn.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Andrew seufzte. »Wurdet ihr denn während eurer Gespräche und Besuche nicht überwacht?«
    »Anfangs war immer ein Pfleger dabei. Als sich Maximilians Zustand verschlechterte, hielt es Echinger für besser, uns alleinzulassen. Maximilian redete dann mehr, und das war dem Professor wichtiger. Er dachte wohl nicht im Traum daran, daß...«
    »Nein«, Andrew stand auf, ging zum Fenster, sah hinaus in die Nacht, deren Schwärze am Horizont bereits in
Grau zerfloß, »nein, daran konnte kein normaler Mensch im Traum denken. Mein Gott«, er drehte sich um, sah Janet an, »und keiner hat etwas gemerkt? Der Therapeut? Dein Mann?«
    »Mario - oder Maximilian, wie er jetzt hieß - spielte seine Rolle sehr gut. Es war nicht schwierig für ihn, denn die Qualen, die sein Bruder durchlitten hatte, hatte er mit ihm empfunden. Er wußte, was Maximilian zu der Tat getrieben hatte, wußte, was währenddessen und danach in ihm vorgegangen war, was er in der Klinik durchgemacht hatte. Er versenkte sich in ihn, war der depressive Patient, der von Selbstmord sprach. Ganz langsam wurde es besser. Echinger war unendlich stolz und betonte immer wieder, er habe es ja gleich gesagt.«
    »Und... Phillip?« Zum erstenmal heute sprach Andrew den Namen des Rivalen aus.
    »Er hatte sich schon zu weit von uns allen zurückgezogen. Seine Söhne, selbst der gesunde Sohn, waren Ballast geworden. Er schaute gar nicht so genau hin, als daß er etwas hätte bemerken können. Und Maximilian - der von nun an Mario hieß - war nicht chronisch depressiv, er hatte an unerträglichem Heimweh, an Hoffnungslosigkeit gelitten. Sein Zustand besserte sich schlagartig, als er zu Hause war.«
    »Genug, um Marios Leben leben zu können?«
    »Mario war gerade mit dem Zivildienst fertig geworden und hatte sich an der Uni für Betriebswirtschaft eingeschrieben. Er wollte beruflich ja in Phillips Fußstapfen treten. Hier lag ein kleines Problem, denn Maximilian hatte immer Jurist werden wollen. Er erklärte, sich nicht mehr sicher zu sein, und schob den Studienbeginn um ein Semester hinaus. Diese Zeit brauchte er sowieso, um sich in der Freiheit zurechtzufinden und mit dem Tablettenentzug fertig zu werden. Sie pumpen die Leute zu voll in
den Kliniken! Dann sagte er, er habe sich nun für Jura entschieden, und immatrikulierte sich. Phillip hatte, wie gesagt, innerlich ohnehin schon mit seinen Söhnen abgeschlossen. Er machte keinen Ärger deswegen.«
    »Es ist so unglaublich«, sagte Andrew, »er hatte ja nicht mal sein Abitur gemacht!«
    »Er legte das Zeugnis seines Bruders vor. Es gab keine Lücken bei ihm, denn er stand ja dicht vor seinem Schulabschluß, als... die Sache dann passierte.«
    Als die Sache passierte. Andrew fühlte heftigen Zorn, als er Janet da so bleich und müde, so benommen und in sich zusammengesunken auf dem Sofa kauern sah. Sie spielte es herunter. Nach all den Jahren, nach allem, was passiert war, sprach sie die Wahrheit noch immer nicht aus, umschrieb sie, suchte und fand beschönigende Worte.
    »Die Sache war ein Mordversuch«, sagte er brutal und sah zufrieden, wie sie zusammenzuckte. »Tatsache bleibt doch, daß dein Sohn eine junge Frau töten wollte und daß es reiner Zufall war, daß sie überlebte.«
    »Er war krank. Er...«
    »Genau. Er war krank. Und du holtest einen kranken, unberechenbaren, gefährlichen Mann aus einer psychiatrischen Klinik, in die ihn die Richter aus gutem Grund eingewiesen hatten. Du läßt ihn als tickende Zeitbombe frei zwischen anderen Menschen herumlaufen. Wie konntest du denn, um Gottes willen, nur so wenig Verantwortungsgefühl haben?«
    »Er war nicht gefährlich und unberechenbar. Er wollte nichts Böses tun. Er wollte nur...«
    Andrew trat an sie heran, und Janet konnte spüren, daß er sie am liebsten geschüttelt hätte. Er beherrschte sich nur mühsam.
    »Hör doch endlich auf, Janet! Hör doch endlich auf, dir und allen anderen etwas vormachen zu wollen. Dieser
arme, kranke, gute Junge, der um keinen Preis etwas Böses tun wollte, hat in aller Heimlichkeit
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