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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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ihrer Kehle, ihr Magen fühlte sich an wie ein heißer pulsierender Knoten. Wenn sie jetzt anfing zu weinen, würde sie sich von einem Naj verspotten lassen müssen. Doch das Meerwesen betrachtete sie immer noch mit einer Faszination, die ihr an den Naj fremd war. Wenn sie jemals etwas erfahren wollte, musste sie diese Spanne der Aufmerksamkeit nutzen.
    »Du bist allein«, sagte sie zu dem Wasserwesen. »Warum? Die Flussnaj leben jeder für sich, aber die Meernaj treten nur in Schwärmen auf. Du bist eine Art Wächter, habe ich recht?«
    Der Naj gab ein leises, tadelndes Schnalzen von sich, doch er widersprach ihr nicht.
    »Du bist einsam«, fuhr sie fort. »Sonst würdest du dich kaum dazu herablassen, mit einem Menschen zu sprechen. Du wünschst dir zu deinem Schwarm zurückzukehren. Aber du musst hierbleiben und darauf achten, dass… die geflügelten Fische nicht ins offene Meer schwimmen?«
    Das Wasserwesen ordnete in einer seltsam menschlichen Geste seine Schwimmhäute und betrachtete sie lange. »Die Fische von den Feuerinseln hält dasselbe, was auch die Vögel hält«, entgegnete er mit seiner raunenden Stimme.
    »Was?«
    »Schwester Himmel und Bruder Meer – vereint von Menschen.« Der Naj lachte sein glucksendes Lachen und Sabin sehnte sich schmerzlicher denn je danach, so wie er zu sein: unberührt und gleichgültig, mehr Fisch denn bewusstes Wesen.
    »Das heißt, die Magier hatten tatsächlich die Macht, all das hier zu erschaffen«, sagte sie.
    Der Naj erstaunte sie. Noch nie hatte sie bemerkt, dass ein solches Wesen wütend werden konnte, doch dieser hier richtete sich auf und funkelte sie an. Seine Kiemenhäute bauschten sich in einem verächtlichen Zischen.
    »Menschenmagie?«, fuhr er sie an. »Glaubst du das wirklich, Trockengesicht? Ihr seid unendlich eingebildet. Eure erbärmliche Menschenmagie kann also Leben erwecken? Wäre es einer Handvoll Menschen gelungen, eine solche Burg zu errichten?«
    »Was war es dann?«, erwiderte Sabin. »Euer Werk etwa? Najmagie?«
    »Wir sind alle ›Najadur‹«, raunte er. »Kinder der wahren Magie. Früher waren wir ein einziges Wesen. Wir flogen und schwammen, wir spielten mit Wolken und Wellen. Doch dann entstand das Land und mit ihm die Menschen. Sie stahlen einen Teil der Magie und versklavten sie. Eurer Dummheit können wir nirgendwo entkommen.«
    Sabin spürte den kühlen Nachtwind längst nicht mehr. »Das heißt, die Menschen – diese Magier haben euch etwas genommen und es existiert noch in dieser Burg. Die Wächter – das sind Wesen, die ihr geschaffen habt?«
    »Du bist wirklich dumm«, sagte der Naj und diesmal hörte sie den Ärger ganz deutlich aus seiner Stimme heraus. »Sie riefen die Wächter mit der gestohlenen Magie, um sich gegenseitig zu töten. So ist es bei euch. Ihr seid ein sterbendes Volk, ohne Geschichte, ohne Ehre, denn ihr begreift nicht, dass ihr niemals wissen könnt, wie die wahre Magie wirkt. Sie lässt sich nicht zum Werkzeug machen. Sie ist wie eine Strömung, deren Lauf ihr nicht vorherbestimmen könnt.«
    Der Druck in ihrer Kehle wurde stärker. Tanijens Gesicht tauchte vor ihr auf und die Verzweiflung drohte sie zu übermannen.
    »Die Magier haben also etwas herbeigerufen, was sie nicht einschätzen konnten, es nahm eine andere Richtung und verwandelte sich in etwas anderes…«
    »Für einen Menschen ist das ein bemerkenswert logischer Gedanke«, sagte der Naj. »Aber wenn du klug bist, verschwindest du jetzt von meinem Felsen, Fingerflosser, und gehst dorthin, wo du hingehörst – zum Schlamm und zum Sand.«
    Seltsamerweise fühlte Sabin sich nicht beleidigt. Sie sah dem Naj in die silbrigen Augen und er erwiderte ihren Blick. Und mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass sie ihr ganzes Leben lang nur das gesehen hatte, was sie sehen wollte. Sie hatte Tanijen geliebt, ohne ihn zu kennen. Sie hatte Satus Liebe zu den Bergen nicht verstanden. Erst musste sie nichts mehr zu verlieren haben, ehe sie wagte mit einem Naj zu sprechen. Und sie war so feige, dass sie vor dem Schiffsfriedhof floh. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass dieses Leben nicht mehr das ihre war und sein durfte.
    »Vertreib mich doch«, zischte sie in der Najsprache. »Du denkst, du machst mir Angst? Ich werde keinen Fingerbreit weichen. Es ist mir gleichgültig, ob ich sterbe oder nicht. Tanijen ist getötet worden. Und ich habe ihn einen Lügner genannt.«
    »Du weinst!«, sagte der Naj erstaunt.
    »Ja«, erwiderte sie heftig. »Auch wenn ihr die
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