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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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Trauer nicht kennt und nicht wisst, was es heißt, jemanden zu lieben. Ich weine. Und jetzt ertränke mich oder verschwinde hier und lass mich allein in meinem Meer. Ich bin nicht dein Spielzeug und ich will nicht mit dir sprechen. Ich will nur aufhören zu atmen und einfach im Meer bleiben – so wie du.«
    Sie dachte, sie hätte ihn verärgert. Doch als er sich mit einem flinken Schwung vom Felsen abstieß und in den Wellen versank, erkannte sie erstaunt, dass er ihrem Wunsch gefolgt war.
    Sie ließ sich wieder in die Unendlichkeit sinken und lauschte ihrem rasenden Herzschlag. Sie wusste nicht, warum der Naj noch hier war – es mochte Neugier sein –, aber er blieb in ihrer Nähe, unauffällig, am Rande ihres Blickfelds, im Wasser schwebend wie ein Geist. Und als sie das Glänzen der Hautschleier in der Nähe sah, fühlte sie sich seltsamerweise sogar ein wenig getröstet.
     
    *
     
    Ein gespenstischer Friede lag über dem Strand. Die Flut umspülte die Reste der Timadar. Die Sonne hatte den Sand getrocknet, sodass Inu bei jedem Schritt durch eine Kruste brach und eine Spur aus sandigen Kratern hinterließ. Amber schüttelte ihr nasses Haar und ließ sich auf dem Sand nieder. Erst jetzt ließ sie das Stück Treibholz, mit dessen Hilfe Inu sie schwimmend vom Felsen zum Strand gezogen hatte, los. Ihre Knie waren immer noch weich und beim Gedanken, dass sie eben wieder im Wasser gewesen war – zusammen mit Haien und giftigen Schnecken –, wurde ihr flau im Magen. Ob der Naj noch in der Nähe war und sie beobachtete? Beunruhigt ließ Amber den Blick über den Horizont wandern. Die Hut verbarg die schartigen Felsen und ließ die Zacken, die aus dem Wasser ragten, viel kleiner aussehen. Der Regen hatte aufgehört und die Morgensonne tauchte das Meer in rötliches Licht. Amber hätte schwören können, dass sie unter der Oberfläche einen Naj sah, der sich der Felskante näherte; aber als die Gestalt auftauchte, erkannte sie zu ihrer Erleichterung Sabin.
    Die Taucherin war blass, ihre Lippen waren blau und sie klapperte mit den Zähnen. Amber sprang herbei und heute ließ Sabin es zu, dass sie sie berührte.
    »Ich habe mir Sorgen gemacht«, rief Amber. »Du warst die ganze Nacht im Wasser!«
    »Sabin!« Inu ließ die Seile fallen und rannte zu ihnen.
    Amber hatte erwartet, dass die Taucherin vor Trauer gebrochen sein würde, mutlos und niedergeschlagen, doch wieder einmal überraschte jemand aus Dantar sie.
    »Jetzt bin ich hier«, sagte Sabin. »Und ich bitte euch, mit mir in die Burg zurückzukehren.« Als Amber sie nur völlig verblüfft anstarrte, verzog sich ihr Mund zu einem grimmigen Lächeln. »Ich habe es satt, ewig wegzulaufen. Ich will wissen, was mit Tanijen passiert ist. Und nicht einmal Najmagie wird mich davon abbringen!«

Seile und Messer
     
    D ie Insel war verlassener denn je. Als wäre alles lediglich ein böser Traum gewesen, thronte die Wasserburg im Sonnenschein hoch über Ambers Kopf auf der Klippe. Nur einige weiße Vögel auf dem Dach des Turms deuteten darauf hin, dass es Leben gab. Amber hatte sich ihr Tuch eng um den Körper geschlungen. Nun prüfte sie ein letztes Mal das Seil, das Inu um ihre Taille gebunden hatte, setzte den Fuß auf einen Felsvorsprung und griff mit den Händen an den Stein. Vorsichtig schielte sie über den Klippenrand. Sie war auf halber Höhe zwischen Burg und Meer. Unten Tauschte die Brandung, brach sich an den Klippen und zerfiel zu Schaum. Amber wandte rasch den Blick ab. Die andere Angst kehrte zurück – die gute Angst, die sie beim Klettern immer hatte. Sie trieb ihren Herzschlag in die Höhe und sorgte dafür, dass Amber wachsam blieb. Mit einem tiefen Aufatmen verlagerte sie das Gewicht und verließ die Sicherheit des Vorsprungs. Nun hing alles von ihr selbst ab. Die Tiefe zerrte an ihr, ihr Atem ging schneller und jeder Gedanke wurde scharf und klar. Sie vergaß das Seil um ihre Taille und kletterte, als wäre sie in den Bergen – mit ihrem Verstand und ihren Kräften als einzige Sicherheit. Der Felsen unter ihren Fingern war schartig und schürfte ihr die Haut auf. Aber er gab genug Halt, dass sie ein ganzes Stück waagrecht klettern konnte, ohne zu hangeln oder die Balance mit zu viel Kraft ausgleichen zu müssen. Dann begann sie damit, sich Hand über Hand an dem Felsen hochzuziehen. Das Gewicht der scharfkantigen Stöcke, die sie als Waffen auf ihren Rücken gebunden hatte, zog an ihren Schultern, doch sie biss die Zähne zusammen und konzentrierte
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