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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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sich anzusammeln?«
    »Verlieren wir jetzt alle den Verstand?«
    »Ich war noch nie so sehr bei Verstand wie jetzt«, erwiderte Amber grimmig. »Das ist das eiserne Gesetz der Leute aus den Bergen: Niemand, absolut niemand auf der Welt tut meinen Freunden ungestraft etwas an.«
     
    *
     
    Zum ersten Mal war Sabin ganz allein im Meer. Ohne Satu – und ohne Tanijens Gegenwart. Der Schmerz war leichter zu ertragen, wenn ihre Schläfen pochten und die Lunge brannte, weil sie viel zu selten Luft holte. Sie tauchte und schwamm von Felsen zu Felsen und hielt Ausschau nach dem Naj. Es war unvorsichtig, bei Nacht zu tauchen. Dennoch fühlte Sabin eine trotzige Wut. Das Wasser war ihre Heimat, mehr noch als Dantar. Es gehörte ihr, so wie das Land Amber gehörte.
    Die Naj vor Dantar hielten sich in Mondnächten gerne über Wasser auf, aber dieser hier hatte wohl andere Angewohnheiten. Nach einer Weile gab Sabin auf und ließ sich einfach nach unten sinken. Die Dunkelheit hüllte sie ein; nur das Klicken der Steine am Grund, die vom Wasser bewegt wurden, störte die Stille. Sabin wagte es nicht, die Augen zu schließen. Nicht aus Angst vor den Raubtieren des Meeres. Sondern aus Angst davor, wieder Tanijens Gesicht zu sehen – in dem Augenblick, bevor die Speere ihn trafen, hatten sie sich angesehen. Sobald sie die Augen schloss, erschien er vor ihr und das unfassbare, schmerzende Gefühl des Verlusts brannte in ihrer Brust wie eine Wunde. Also blickte sie in die dunkle Unendlichkeit, nur unterbrochen von der lästigen Suche nach Luft. Doch die Bilder ließen sich kaum vertreiben – Satus Gesicht kam hinzu und dann noch ein weiteres Gesicht, eines, das sie nicht kannte und das sie dennoch mit aller Gewalt zu vergessen versuchte.
    Ein Glänzen nicht weit von ihr schreckte sie aus ihrer Benommenheit auf. Ein Hai schimmerte nicht, also vielleicht ein Mondfisch? Eine Mähnenschlange? Ein Dornrachen? Sabin hielt still und schwebte, ihr Herzschlag ruhig und regelmäßig, die Erinnerung an Tanijen in der Brust eine große Wunde.
    Das Schimmern wurde stärker. Im schwachen Licht des Mondes, das auf das Wasser fiel, erkannte sie das Fließen von Schleiern. Der Naj. Endlich! An jedem Tag ihres Lebens hätte sie Angst gehabt. Wie all die anderen Taucher hätte sie sich zurückgezogen, nun aber stieß sie sich ab und schwamm näher heran. Es gab nichts mehr, auf das sie vertrauen konnte, und nichts mehr, was sie fürchtete. Selbst der Gedanke an den Tod war nur ein weiterer Gedanke in dieser Unendlichkeit.
    Überrascht verharrte der Naj. Sabin schwamm zu ihm, umkreiste ihn, streckte die Hand aus und ließ einen erstaunlich weichen und doch festen Hautschleier durch ihre Finger gleiten. Das Meerwesen regte sich nicht, es stieß sie nicht fort, es riss sie nicht mit sich in die Tiefe. Sie musste es wirklich verblüfft haben. Und für die Dauer eines Wimpernschlags triumphierte Sabin und ertrug den unwillkürlichen Gedanken »Das muss ich Tanijen erzählen« wie einen Stich.
    Dann musste sie auftauchen. Ihr war bereits schwindlig. Nur widerwillig ließ sie sich nach oben treiben und schwamm zu einem Felsen – weit weg von dem Felsplateau, auf dem Amber und Inu saßen. Ihre Stimmen trieben über das Wasser, doch Sabin hörte nicht hin, sie lauschte nur dem Lied des Meeres. Schwarze Zacken ragten vor ihr auf. Es roch nach Tang und nassem Stein. Und ein wenig auch nach Federstaub. Sabin glitt durch das Wasser und legte die Hand auf den Stein.
    Ein Tropfenschauer traf sie, als sich der Naj blitzschnell vor ihr auf den Fels schlängelte. Hier, in seinem falschen Element, wirkte er faltig und zerbrechlich – und kaum größer als Sabin. Seine Hände mit den langen Fingern lagen auf dem Fels. Mondglanz ließ seine Schuppen schimmern.
    »Du hast keine Angst«, stellte er mit der den Naj eigenen Sachlichkeit fest. Sein rauschender Singsang vermischte sich mit den Wellen.
    Sabin verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.
    »Angst«, sagte sie verächtlich und schluckte, um nicht wieder zu weinen.
    »Du hast allen Grund, dich zu fürchten«, beharrte der Naj. »Ich könnte dich mitnehmen unter die Strömung, zu den Fischen. Du würdest sterben.«
    Sabin konnte nicht einmal wütend sein. »Weiß denn ein Wesen wie du überhaupt, was sterben bedeutet?«, fragte sie ruhig. »Warum ist eure letzte Drohung an uns Menschen immer nur der Tod? Soll ich dir etwas sagen? Es gibt Schlimmeres! Wenigstens wäre ich im Wasser begraben.«
    Der Kloß saß in
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