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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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ihre Hand nahm. Gemeinsam blieben sie stehen und betrachteten die Verwüstung: Papier lag überall verstreut, zerbrochene Stühle, der umgekippte Tisch. Die Kellertür stand weit offen, doch die Eingangstür, die auf den Hof führte, musste mit dem Wind zugefallen sein. Amber dachte daran, dass hinter dieser Tür Tanijen am Grund des Tümpels lag, und biss sich so fest auf die Unterlippe, dass es schmerzte. Inus Hand umklammerte die ihre. Sie sahen sich an. Inu schluckte schwer.
    »Das Werkzeug«, sagte er leise und deutete in den Raum. Amber nickte wie betäubt. Dort, neben dem Kamin, lagen ihre Äxte verstreut. Sie glitt die Treppenstufen hinunter und sprang erschrocken wieder zurück in den Schatten. Unsanft stieß sie gegen Inu. Etwas Buntes regte sich neben einer umgestürzten Truhe. Doch der Raum war nach wie vor ausgestorben wie ein geplündertes Grab.
    »Nur die Spiegelscherbe«, flüsterte Inu. »Tanijen muss noch andere gefunden haben. Dort ist seine Truhe, los!«
    Amber konnte das Bild erst erkennen, als sie sich über die spiegelnde Fläche beugte. Es war nur der Bruchteil eines Bildes, aber an das Gesicht der rothaarigen Magierin erinnerte sie sich sofort. Das Bild verlosch und ließ nur ihr eigenes Spiegelbild zurück: besorgte Augen und ausgebleichte, wellige Strähnen, die ihr wirr in die Stirn hingen. Inu trat neben sie und öffnete die Truhe.
    Tanijen hatte seine Aufzeichnungen in Stoff und Leder gewickelt. Scherbe um Scherbe wickelte Inu aus und legte sie auf den Boden. Schließlich fand er ein kleines Notizbuch, mehrere Blätter mit neuen, noch sehr schwarzen Rußstift-Notizen und einen zusammengerollten Plan.
    »Tanijens Aufzeichnungen«, sagte er leise.
    Amber betrachtete die Schriftzeichen mit Scheu. Tanijen schien wieder im Raum zu sein, so greifbar, dass sie nicht wusste, ob sie seine Gegenwart fürchten oder herbeisehnen sollte. Sie kniete sich neben Inu, nahm die Karte mit zitternden Fingern entgegen und entrollte sie. Amber erkannte den fünffingrigen Umriss von Dantar und einige Inseln. Wellen deuteten das Meer an – unterbrochen wurden sie von Wirbeln und Strömungssymbolen. An manchen Stellen waren Fische eingezeichnet – vermutlich kennzeichneten sie fischreiche Gewässer.
    »Sieh dir das an!«, sagte Inu ehrfürchtig. »Er wusste es die ganze Zeit.«
    »Wo wir sind?«, fragte Amber.
    In Inus blassem Gesicht glühten die blauen Augen wie zwei Tamaris-Kristalle. »Pallas und Uda«, sagte er. »Die gestrandeten Schiffe. Ich habe lange überlegt, woher ich diese Namen kenne, aber es fiel mir nicht ein. Hier, Tanijen hat eine Notiz dazu gemacht: Bei den Navigatoren werden Listen der verschollenen Schiffe geführt. Beziehungsweise Listen über die Leute, die nicht wiedergekommen sind. Viele davon hatten auf der Pallas und der Uda angeheuert – zwei Handelsschiffe, die vor vierzehn Sommern zu den äußeren Inseln fahren sollten. Aber sie kamen niemals dort an. Sie wurden gesichtet, wie sie vom Kurs abkamen und im Mahlstrom verschwanden.« Er tippte auf einen kreisrunden Wirbel weit vor der Küste. »Ich hatte es vergessen, aber ich erinnere mich jetzt, dass darüber viel gesprochen wurde, als ich noch ein Kind war.«
    Amber runzelte die Stirn. »Ein Mahlstrom? Der Sog, den die Vögel erzeugen, ist ein Mahlstrom vor der Insel?«
    Inu schüttelte heftig den Kopf.
    »Hier, schau dir die Zeichnung und Tanijens Notiz dazu an: Wenn die Karte stimmt und Tanijen recht hatte, dann… ist die Insel der Mahlstrom.« Er kniff die Augen zusammen und las konzentriert Tanijens Notizen. Amber hätte ihm vor Ungeduld am liebsten die Papiere aus der Hand gerissen, doch nach einem Blick von Sabin zwang sie sich zur Ruhe. Inus Stimme wurde heiser vor Aufregung, als er endlich aufblickte und weitersprach. »Jetzt verstehe ich: Die Insel liegt tatsächlich genau dort, wo auf allen Seekarten der Taltad-Strom eingezeichnet ist. Die Navigatoren kennen die Geschichte, wie der Taltad-Strom entstanden ist. Tanijen hat sie hier aufgeschrieben: Früher existierte an dieser Stelle wohl tatsächlich eine Insel. Viel befand sich allerdings nicht darauf: ein Steingebäude und ein Zuchtbecken für die seltenen Mitramuscheln, die goldfarbene Perlen erzeugen.«
    »Das Becken im Hof! Und der einzige Turm, der noch unversehrt ist!«, flüsterte Amber. Inu nickte.
    »Deshalb steht das Wasser in dem Becken also so hoch. Es ist keine Magie, es ist Mischwassser.«
    »Mitramuscheln wachsen nur dort, wo es Bergsalzwasser gibt, das
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