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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs
Autoren: Alan Furst
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Haan. »Wie wir.«
    Das sorgte für allgemeine Erheiterung. »Na ja, es ist ja nur für die Dauer des Krieges«, sagte Leiden.
    »Bestimmt«, sagte Terhoven säuerlich. Die Hyperion-Lijn war 1918 gegründet worden; zuerst hatten Terhoven und sein Bruder einen deutschen Frachter, den Frankreich im Zuge der Kriegsreparationen von Deutschland bekommen hatte, gechartert und dann zu einem sehr guten Preis gekauft. Jahrhundertelang steckten Regierungen und Schiffseigner gegenseitig die Nase in ihre Angelegenheiten, was nicht selten zu blutigen Nasen führte.
    »Sie sind schon lange dabei«, sagte De Haan zu Leiden.
    »Seit 1916, als junger Leutnant zur See. Ein, zwei Mal hab ich versucht, rauszukommen, aber sie haben mich nicht gehen lassen.«
    Das war nicht unbedingt ein Trost für De Haan, der es beruhigend gefunden hatte, dass Leiden allem Anschein nach ein alter Seebär war. Doch jetzt beschrieb sich Leiden eher als ›einen alten Schreibtischhengst‹ und wartete einen Moment lang auf ein Schmunzeln, das jedoch nicht kam.
    »Bin in letzter Zeit nicht besonders viel auf See gewesen. Streng genommen gar nicht«, sagte Leiden. Eine Erinnerung brachte ein Lächeln auf sein Gesicht, und er fuhr fort: »Bis zum August sind wir – sechs aus der Abteilung – nie aus Holland rausgekommen. Haben uns in einer schwülen Nacht heimlich in Belgien eingeschlichen und eine kleine Fischer-Schmacke gestohlen, in Knokke-le-Zoute. War kaum noch Treibstoff in dem verdammten Ding – so halten die Deutschen sie an der kurzen Leine –, aber es gab ein Segel an Bord, und wir haben es geschafft, das Ding zu hissen. Wir waren alle in Uniform, müssen Sie wissen, weil wir nicht wollten, dass sie uns als Spione erschießen, wenn sie uns schnappen. Eine Zeit lang sind wir im Dunkeln herumgetrieben – ziemlich schwerer Seegang in der Nacht – während unsere beiden begeisterten Amateursegler eine äußerst angeregte Diskussion darüber führten, in welche Richtung wir fahren sollten. Und auf einmal wurde uns bewusst, wie wir aussahen, ›eine Badewanne voll mit Admirälen‹, sagte jemand, und wir mussten lachen. Schreibtisch-Marine, das sind wir.«
    De Haan betrachtete Terhoven von der Seite und stellte fest, dass es ihnen beiden gelungen war, höflich zu lächeln – Leiden mochte der ›Schreibtisch-Marine‹ angehören, sie beide nicht. »Am besten machen wir die leer«, sagte Terhoven und verteilte den letzten Gin, während De Haan einen seiner letzten Zigarillos anzündete.
    »Also gut«, sagte Leiden als Antwort auf die Frage, die unausgesprochen im Raum stand, »vielleicht sollten wir zur Sache kommen.«
    Es war nach zwei Uhr morgens, als sie das kleine Zimmer verließen und die Rue Raisuli entlang zurückliefen, die während des Dinners steiler geworden war. Terhoven und Leiden waren in der Nähe der Mendoubia-Gärten privat untergebracht, während De Haan Richtung Hafen weiterging. Es war eine milde Nacht, eine Frühlingsnacht, mit einer Brise vom Meer und einem bestimmten Singsang in der Luft, den Dichtern der Stadt wohlvertraut, doch nie beim Namen genannt. Jedenfalls waren die Katzen draußen und – vermutlich aus Rücksicht auf die Nachbarn – die Radios leise gestellt.
    In einem Hauseingang räusperte sich ein Mann, die Kapuze seiner Dschellaba so über den Kopf gezogen, dass sein Gesicht im Schatten lag. Als er ihre Aufmerksamkeit gewonnen hatte, sagte er in fröhlich einladendem Ton, » Bonsoir , messieurs .« Er schwieg einen Moment, als wüssten sie, wer er war und zu welchem Zweck er dort stand, bevor er fragte, »Messieurs? Le goût français, ou le goût anglais ?«
    De Haan brauchte einen Moment, bis er begriff, während Terhoven verwirrt fragte, »Pardon?«
    »Le goût «, sagte De Haan, »bedeutet Geschmack, Vorliebe, und français bedeutet, dass man eine Frau bevorzugt.«
    »Ach so«, erwiderte Terhoven. »Verstehe. Also, meine Herren, das geht auf die Hyperion-Lijn, wenn Sie Lust haben, die Nacht durchzumachen.«
    »Vielleicht ein andermal«, sagte Leiden.
    Ein paar Minuten später kamen sie in die Rue es-Seghin, wo sich ihre Wege trennen würden. Terhoven verabschiedete sich, nicht ohne hinzuzufügen, dass sie sich vielleicht am nächsten Tag noch einmal treffen würden. Leiden schüttelte De Haan die Hand und sagte: »Dann viel Glück.« Er hielt sie einen Moment länger fest und setzte an: »Wir …«, führte den Satz aber nicht zu Ende. Schließlich wiederholte er: »Also, viel Glück«, und drehte
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