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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers
Autoren: Cristen Marie
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hier? Wie konnte Nathan Euch gehen lassen? Wie seid Ihr nach Brügge gekommen?«
    »Mit Eurem Wein und Euren Heringen«, erwiderte sie.
    »Allmächtiger Gott«, murmelte Abraham und fuhr eine Spur lauter fort. »Kommt mit nach oben. Aber macht Euch darauf gefasst, dass ihm Eure Anwesenheit nicht gefallen wird. Ihr hättet zur Sicherheit in Damme bleiben sollen.« Seine Warnung verunsicherte Aimée nicht. Er musste verstehen, dass sie in tausend Ängsten schwebte. Salomon öffnete die Tür zu seinem Arbeitskabinett, das sie bereits kannte.
    Gleitje stand mitten im Raum.
    Aimée hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Gleitje hier. Was sollte das heißen?
    »Zum Donnerwetter, ich kann nicht glauben, was ich sehe«, hörte sie Domenico aufbrausen, während sich Gleitje umwandte.
    Ein leiser Laut der Ungläubigkeit verriet Aimées Schock. Wurde sie jetzt verrückt? Das war nicht Gleitje, es war Colard.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie.
    »Das ist auch meine Frage!« Domenico betrachtete sie mit einer Mischung aus Zuneigung, Sorge und Verärgerung. »Du solltest doch in Damme bleiben. Wie bist du überhaupt in die Stadt gekommen?«
    Salomon und Colard registrierten beide das vertraute Du. »Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten und bat den Fuhrknecht, mich auf seinem Rückweg nach Brügge mitzunehmen«, antwortete sie. »Seit Tagen habe ich nichts von dir gehört. Ich war außer mir vor Sorge. Was ist geschehen? Warum trägt Colard Gleitjes Kleider?«
    »Setz dich und lass es dir erklären«, bat er mit lächelnder Resignation. Er hatte Verständnis, sein kurzer Ärger war im Nu verflogen.
    Es fiel ihr nicht schwer, Domenicos Plan zu durchschauen, nachdem sie alle Einzelheiten kannte.
    »Ihr denkt also, dass Colard nachts nicht erkannt wird. Er muss nicht viel sagen, denn beide nehmen an, dass sie vor Angst außer sich sein wird. Es gilt nur, die Aufmerksamkeit der Schurken auf sich zu ziehen, damit ihr sie mit euren Männern überwältigen könnt.«
    Domenico nickte, doch als sie fortfuhr, wurde die Falte auf seiner Stirn tiefer.
    »Ihr habt es mit einem Mörder und seinem Komplizen zu tun. Mit einem Manne, der davon lebt, zu töten. Galsdale will Gold sehen, und er wird sich nicht kampflos ergeben, wenn er erkennt, dass er in der Falle sitzt. Wie könnt ihr glauben, einem solchen Schurken gewachsen zu sein? Er weiß, dass es um sein Leben geht. Auf ihn wartet der Galgen. Es ist Wahnsinn, was ihr da plant. Ihr müsst die Stadtwache alarmieren.«
    »Keiner würde uns glauben, dass Galsdale so dumm ist, uns in diese Falle zu laufen. Sie halten das Ganze für eine Geschichte, die sich Klaas ausgedacht hat, um seine Unschuld zu beweisen.«
    »Und Gleitjes Schilderung des fliehenden Mörders?«
    Colard mischte sich ein. »Ist ihrer Meinung nach das Hirngespinst einer kranken Frau. Jeder weiß, dass Gleitje Klaas immer schützt.«
    Aimée schüttelte den Kopf.
    »Genug.« Domenico beendete die Debatte. »Die Zeit drängt. Unser Plan steht fest. Wir brechen auf, sobald es dunkel ist. Wir haben die Überraschung auf unserer Seite, und fünf kräftige Fuhrknechte ersetzen allemal einen Trupp Gerichtsbüttel.«
    Aimée schwieg, während weitere Einzelheiten besprochen wurden. Sie betrachtete Colard in seiner befremdlichen Maskerade. Je mehr Details sie erfuhr, umso besorgter wurde sie. Am liebsten hätte sie sich angeboten, an Colards Stelle zu gehen.
    »So ruhig?«, fragte Domenico denn auch erstaunt, als sie endlich unter vier Augen waren. Er führte sie in ein Gemach, wo sie auf seine Rückkehr warten sollte. »Ich fürchtete schon, dass du mich bestürmst, anflehst und mit allen Mitteln versuchst, dich an unserem Unternehmen zu beteiligen.«
    Aimée bedachte ihn mit einem überraschten Blick.
    »Du wirst lachen, das hatte ich mir wirklich überlegt. Aber ich sehe ein, dass ihr das alleine machen müsst.«
    Domenico zog sie an sich und strich ihr die hässliche Haube vom Kopf. Sie spürte, wie er eine Haarnadel nach der anderen aus den Haaren zog. Mit leisem Klappern fielen sie auf den Boden, dann kämmte er die hellen Strähnen mit den Fingern aus dem Gesicht. Sein Blick drang bis auf den Grund ihrer Seele.
    »Was ist mit dir?«, fragte er geradeheraus. »Du bist so schweigsam, so nachdenklich.«
    »Alain von Auxois ist tot. Vor Calais gefallen.«
    »Gott sei seiner Seele gnädig. Ich verstehe, dass du um ihn trauerst. Du musst dich deiner Tränen nicht schämen.«
    »Ich habe bereits um so viele Menschen
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