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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers
Autoren: Cristen Marie
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geweint, die mir teuer waren«, flüsterte Aimée. »Ich will nicht auch noch um dich Tränen vergießen müssen.«
    »Fasse dich, Aimée, bitte. Das Wissen, dass du hier auf mich wartest, wird mich beflügeln und zugleich mit der nötigen Vorsicht zu Werke gehen lassen. Ich werde dafür sorgen, dass du endlich ohne Angst und ohne Existenzsorgen in dieser Stadt leben kannst. Und glaube mir: Ich brauche dich. Du bist Sonne und Mond zugleich für mich.«
    »Ich hätte Alain so sehr gewünscht, dass er eine Frau findet, die ihm all die Liebe geben kann, die ich ihm nicht geben konnte.«
    »Vielleicht hätte er gar keine andere gewollt. Ich sehe, wie es mir geht. Ich könnte keine so lieben wie dich. Du kannst Menschen Befehle erteilen, und vielleicht gehorchen sie sogar. Ihre Herzen werden jedoch immer eigene Wege gehen.«
    Aimée lächelte wieder.

52. Kapitel
    B RÜGGE , 22. J ULI 1372
    Aimée hatte einen Traum. Seit Jahren schon hatte sie nicht mehr von Andrieu geträumt.
    Mit ihrer Großmutter stand sie auf dem Wehrgang der Burg. Beide schauten in stummem Einvernehmen über die endlosen Wälder, den Fluss und die bewirtschafteten Felder, die ihn säumten. Die Menschen, die dort unten säten, fischten oder an den Mühlen tätig waren, wirkten aus dieser Entfernung winzig.
    Es war ein friedliches Bild. Das Korn stand hoch, die Reusen waren voll, und über dem Land lag die Wärme des Sommers. Sie sah zu ihrer Großmutter und fand nicht die respekteinflößende Dame mit silbernem Haar, sondern eine Frau gleichen Alters neben sich. Es war wie der Blick in einen Spiegel, es hätte nicht verblüffender sein können. Sie sahen sich als erwachsene Frauen auf Augenhöhe an. Beide wussten um die Fülle des Lebens und um die Gefahren, die es bedrohten. Um ihre Pflicht, die Menschen zu schützen, die sie liebten und die zu ihnen gehörten.
    »Du wirst dein Leben meistern«, sagte ihre Großmutter und griff nach ihrer Hand. »Du brauchst mich nicht mehr. Du hast gelernt, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Folgen deines Handelns zu bedenken. Gott schütze dich und die Deinen, meine große Aimée.«
    »Bleib!«, rief Aimée, aber die Gestalt löste sich vor ihren Augen auf. Die Stimme, die sie hörte, war nicht die ihrer Großmutter.
    »Sie träumt, lasst sie schlafen. Sie braucht diesen Schlaf. Sie hat fast die ganze Nacht wach gelegen.«
    Völlig desorientiert schlug Aimée die Augen auf. Wo war sie? Noch in ihrem Traum gefangen, sah sie um sich und entdeckte Lison, der Domenico den Eintritt in den Raum verwehren wollte.
    Mit einem Ruck setzte sie sich auf.
    »Ich bin wach!«, rief sie noch benommen. »Domenico, endlich!«
    Sie lag auf den Decken des Alkovens, angekleidet, aber mit offenem Haar, so dass sie mit den Strähnen kämpfen musste, als Domenico zu ihr trat. Er beantwortete ihre Frage, ehe sie sie formulieren konnte.
    »Es ist vorbei. Unser Plan war erfolgreich. Galsdale ist tot. Jaak konnten wir den Stadtwachen übergeben.«
    »Und das da?« Aimée deutete auf den blutgetränkten Verband an Domenicos Arm, den sie eben erst entdeckt hatte.
    »Eine lästige Erinnerung daran, dass ich besser mit Geld umgehen kann als mit einem Dolch. Colard hat sich als sehr mutig erwiesen. Er hat Galsdales Waffe abgelenkt und so Schlimmeres verhindert. Er verschaffte mir die Gelegenheit zum tödlichen Stoß.«
    »Und er?«
    »Blieb bis auf eine Schramme an der Braue unverletzt. Die gepolsterten Kleider Gleitjes waren ihm ein guter Schutz. Es ist keine schöne Geschichte. Vergiss sie. Allein das Ende ist wichtig.«
    Aimée richtete sich vollends auf und nahm das Tuch in Augenschein, das Domenico unterhalb des Ellbogens um die Wunde geschlungen hatte. »Erst musst du ordentlich verbunden werden. Lison, sieh bitte nach, was du in diesem Haus findest, um eine Wunde zu versorgen.«
    »Doktor Simonides wird sich darum kümmern«, beruhigte sie Domenico. »Ich habe ihn nur warten lassen, weil ich nicht wollte, dass du geweckt wirst. Und weil ich mich davon überzeugen wollte, dass es dir gutgeht.«
    Erst jetzt fiel Aimée auf, dass Lison sie ja gar nicht nach Brügge begleitet hatte.
    »Wie kam sie her?«
    »Nathan Simonides hat sie mit sich gebracht. Beide hatten wohl das Gefühl, dass sie gebraucht werden könnten. Lison hat deine Sachen dabei. Sie wird dir beim Ankleiden helfen, während sich der Doktor meinen Arm ansieht. Meinst du, du könntest dich beeilen? Wir müssen einen gemeinsamen Gang tun, wenn du ein wenig
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