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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers
Autoren: Cristen Marie
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Überzeugungskraft aufbieten, ihre Empörung zu besänftigen.
    »Abraham hat völlig richtig gehandelt. Du hast keinen Grund, ihm Vorwürfe zu machen. Es wäre deiner Genesung abträglich gewesen, dich mit alldem zu belasten. Ich sehe doch, wie sehr es dir zusetzt. Überlass es bitte mir, die Schurken ihrer gerechten Bestrafung zuzuführen.«
    »Mir scheint, ich tausche einen Kerkermeister gegen den anderen ein«, protestierte Aimée mit einem Lächeln. »Du weißt gar nicht, was du von mir verlangst. Wie lange soll das noch gehen? Kannst du dir vorstellen, wie entsetzlich es ist, hierher verbannt zu sein und nicht zu wissen, was geschieht? Ich habe viele solcher Tage hinter mir. Versteh doch, dass ich in deiner Nähe sein will.«
    »Glaub mir, bei dieser Aktion kann ich nicht auf uns beide aufpassen. Ich habe dir Ablenkung mitgebracht.« Domenico nahm die Briefe der Herzogin aus der Innentasche seines Umhanges. »Abraham hat sie vom Statthalter des Grafen von Flandern erhalten. Die Herzogin schickt dir offensichtlich Neuigkeiten aus Regnault. Sie werden dir die Zeit vertreiben, Liebste.«
    Aimée war kurz versucht, weiter in ihn zu dringen, aber dann lenkte sie ein. Sie wollte ihm keine Probleme machen, und wenn sie ehrlich mit sich selbst war, dann fehlte ihr auch noch die Kraft.
    »Gut, ich werde mich in Geduld üben, aber versprich mir, dass du auf dich aufpassen wirst. Ich will nicht, dass ich dich verliere, kaum dass wir zueinandergefunden haben.«
    »Du kannst gewiss sein, dass ich so schnell wie möglich zurück bin.«
    »Wehe, wenn nicht«, drohte sie wieder lächelnd. »Und küss mich sofort noch einmal.«
    Sie spürte seinen Kuss noch lange. Seine Schritte auf der Stiege nach unten und das Trommeln der Hufe auf dem Damm entlang Richtung Brügge waren längst verhallt.
    Aimée kam es vor, als sei sie in einen Wirbelsturm geraten. Es war Wirklichkeit – kein Traum.
    Sie löste die Bänder um das Leinenpäckchen der Herzogin und brach das große Siegel. Sie fand mehrere gefaltete Schreiben.
    Eines davon kannte sie. Es war ihr eigener Brief an Alain, den sie nach Regnault gesandt hatte mit der Bitte, die Herzogin möge ihn über die Kuriere ihres Gemahls weiterleiten. Offensichtlich hatte sie keine Möglichkeit dazu gefunden.
    Hastig öffnete sie den Brief der Herzogin, der wie üblich freundlich, aber kurz gehalten war.
    Wir hören mit Freude, dass Ihr inzwischen gesund genug seid, an Eure Freunde zu denken. Wir haben eine Dankesmesse für Eure Genesung lesen lassen und vertrauen darauf, dass die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.
    Die Schrift des zweiten Schreibens kam ihr bekannt vor, wenngleich sie sie auf Anhieb nicht zuordnen konnte. Erst die Anrede löste das Rätsel. Philippe von Andrieu hatte ihr erneut geschrieben.
    Liebe Cousine,
    es bedrückt mich, schon wieder der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, aber mir bleibt keine andere Wahl. Ich habe mein Wort gegeben und will es halten.
    Alain von Auxois, mein Freund und Waffengefährte in vielen Kämpfen, hat mir bei unserem Wiedersehen mit Freuden davon berichtet, dass du eingewilligt hast, ihn zum Gemahl zu nehmen. Ich wollte dir zu diesem klugen Entschluss von Herzen gratulieren. Du hättest keinen Besseren finden können.
    Ärgerlich, dass Alain eine Heirat verkündet hatte, zu der sie nie ihre Zustimmung gegeben hatte, flogen ihre Augen förmlich über die nächsten Sätze.
    Nun ist es geschehen, dass die frischen Truppen des Feindes versuchten, sich von Calais aus landeinwärts in Richtung Paris zu kämpfen. Wir haben sie erfolgreich zurückgeschlagen, doch der Preis des Sieges ist hoch. Alain von Auxois wurde schwer verletzt und ist in der vergangenen Nacht seinen Verletzungen erlegen. Es war ihm noch möglich, mich zu bitten, dir die Nachricht zu senden, dass dir seine Liebe gehört hat. Er bittet dich um deine Gebete für seinen Seelenfrieden.
    Aimée ließ die eng beschriebene Seite sinken. Ihre Empörung war wie weggeblasen. Trauer, vermischt mit einem vagen Schuldgefühl, legte sich wie eine dunkle Wolke über ihr Gemüt.
    Gott, vergib seine Sünden und nimm Alain von Auxois in Frieden auf, betete sie für ihn.
    Das Schicksal hatte ihm ihren Brief gnädig erspart. So war er wenigstens in der Sicherheit gestorben, dass ein geliebter Mensch um ihn weinen würde. Er hatte sich diese Tränen verdient. Sie verdankte ihm Stunden der Zärtlichkeit und der unvoreingenommenen Liebe, die sie nie vergessen wollte.
    Welch
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