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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände
Autoren: Heinz G. Konsalik
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deine Mutter?« Doerinck, bisher etwas spöttisch im Ton, wurde plötzlich ernst. »Bei deiner Mutter wäre es noch denkbar. Für die Annahme, daß aus Menschen einmal Engel werden, ist deine Mutter schon jetzt ein Beweis.«
    »Du liebst Mama abgöttisch, nicht wahr, Paps?«
    »So etwas fragt man nicht seinen Vater. Aber weil du es bist: Ja!«
    »Und Mama ist krank, sehr krank …«
    »Cora! Ich will das nicht mehr hören!« Er holte tief Atem. Ja, er war da, der Druck auf der Lunge und auf dem Herzen, das schwere Atmen war da, das von der Angst begleitete Luftholen. Es hatte ihn gepackt, als Ljudmila zu ihm sagte, sie habe Blut im Stuhl gefunden. Seitdem lebte er mit diesem Druck in der Brust. »Hol das Geschirr und deck den Tisch!« sagte er rauh zu seiner Tochter und zeigte auf den Küchenschrank. »Wir werden von Mama nachher alles genau erfahren. Mama lügt uns nicht an. Warum auch? Ein Telefongespräch würde ja genügen, um die Wahrheit zu hören. Mein Gott, sieh dir doch Mama an. Die Gesundheit in Person! Jeder schätzt sie auf Ende Vierzig.«
    *
    In ihrem Zimmer hatte sich Ljudmila mittlerweile umgezogen, nachdem sie sich geduscht hatte. Bevor sie die frische Wäsche überstreifte, stellte sie sich für ein paar Minuten vor den großen Schrankspiegel und betrachtete sich. Einundsechzig, dachte sie. Dieser Körper, dieser noch immer schöne Körper, ist nun einundsechzig Jahre alt. Unglaublich, wie wenig er sich verändert hat. Die Beine sind noch schlank, und ohne Falten sind die Hüften. Nicht eine einzige Krampfader drückt sich durch, und der Bauch ist flach und gespannt, fast jungfräulich. Dabei hat man eine dreißigjährige Tochter. Gewiß, die Brüste waren früher straffer und höher, aber mit Tausenden, ja mit Millionen Jüngeren, selbst jungen Mädchen, könnte ich da noch konkurrieren. Wer diesen Körper sieht und sagt, er ist einundsechzig Jahre alt, den würde manch einer einen Lügner nennen; den dürfte man verprügeln. Und doch ist es so. Ein schöner Körper, eine schöne Larve, eine schöne Fassade. Nur das ist er in Wahrheit noch. Eine Fassade. Wie bei Brüderchen Potemkin, der die Zarin durch herrliche blühende Dörfer kutschierte – und sie merkte nicht, daß die Häuser in Wirklichkeit nur bemalte Wände waren und dahinter – nichts! Das ist dein Körper, Ljudmila Davidowna: eine schöne Fassade. Und dahinter? – Wie sag ich's ihnen, ohne daß sie zusammenbrechen?
    Sie drehte sich noch einmal vor dem großen Spiegel, beobachtete das Spiel ihrer Muskeln und das Licht der Sonne auf ihrer straffen glänzenden Haut, dachte einen Moment daran, daß Stefan sie noch immer so liebte wie vor sechsunddreißig Jahren, und daß dieser Körper seine Wirkung auf ihn nie verloren hatte, aber dann schauderte sie, legte beide Hände flach über ihren Unterleib, wandte sich schroff vom Spiegel weg und griff nach der frischen Wäsche.
    Wie schnell waren damals Potemkins Fassaden verwittert und verfallen, dachte sie. Wie schnell geht alles vorüber!
    Sie fönte ihre lockigen schwarzen Haare – nicht ein einziges graues war darunter –, legte ein diskretes Make-up auf, zog die Lidränder nach und nahm für die Lippen ein ins Orange spielendes Rot.
    Warum eigentlich, dachte sie. Muß das noch sein? Ja, es muß sein! Auch der weinende Clown schminkt sich ein lachendes Gesicht; man will ihn so sehen. Würde er nur weinen, liefen sie alle weg. In Schönheit vergehen … man muß das durchhalten bis zu dem Tag, an dem nichts mehr möglich ist.
    Sie bürstete noch einmal durch ihre jugendlich wirkende Frisur, verließ dann das Zimmer und ging hinüber zum Eßraum, wo Stefan und Corinna am Tisch saßen und auf sie warteten. Der Kaffeeduft schlug ihr geradezu erregend entgegen. Auf einem großen Holzbrett lagen der Stuten und das Sauerteigbrot. Daneben die Butterdose und ein anderes Holzbrett mit ausgelöstem Knochenschinken und einem scharfen, breitklingigen Messer. Und eine Flasche eisgekühlter Korn stand da. Münsterland-Gold, die Marke, die Stefan am liebsten trank. Zu einem westfälischen Schinkenbrot gehört ein Münsterländer Korn. Die Medizin der Hundertjährigen, sagt man.
    »Schöner konnte Aphrodite nicht aus dem Meeresschaum steigen!« rief Doerinck poetisch. »Matjuschka, du siehst wieder aus, als wolltest du eine Kosakenschwadron verführen.«
    »Ein Krummbeiniger genügt mir!« Sie lachte, nahm am Tisch Platz und zwinkerte ihrer Tochter zu. Corinna lachte etwas verkrampft zurück. »Das ist
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