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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vor: »Präoperative Strahlentherapie nennen sie das. In zwei Wochen 2.000 bis 3.000 r, kombiniert mit dem Medikament 5-fluorouracil. – Oh, Dr. Willbreit war sehr freundlich. Er hat mir alles erklärt. Er hat mir sogar die Röntgenbilder gezeigt. So sieht also ein Todesurteil aus, habe ich gesagt, und er hat geantwortet: Nennen wir es eine Verurteilung. Aber es gibt ja auch Begnadigungen. – Er war wirklich sehr freundlich.«
    »Und natürlich wirst du alles tun, was er dir vorschlägt«, sagte Doerinck mit mühsam gefestigter Stimme. »Wenn er das schon sagt … Begnadigung … da ist doch Hoffnung drin! Milaschka … wir … wir werden das durchstehen.«
    »Und wir werden ganz ruhig sein.« Sie schnitt wieder ein Stück Stuten ab und griff zum Buttermesser. »Wir sind jetzt nicht drei am Tisch, sondern vier.« Mit dem Messergriff zeigte sie auf ihren Leib: »Der Krebs ißt mit. Wir müssen uns daran gewöhnen.«
    Es war die fürchterlichste Schnitte Brot, die Doerinck in seinem Leben hinuntergewürgt hatte. Sie verklebte seinen Gaumen und seine Kehle und erzeugte Übelkeit. Aber er aß sie, weil er sah, wie Ljudmila mit wirklichem Appetit ihre Stutenschnitte mit dick Butter darauf verzehrte.
    Corinna blieb an diesem Tag bei ihren Eltern. Noch gab es ihr Jungmädchenzimmer unter dem Dach. Es war nicht verändert worden in all den langen Jahren. Da standen die ziemlich zerfledderten Puppen aufgereiht auf ihrem Bett, zum Teil ohne Haare, armlos und zerbeult. An den Wänden hingen noch die Kinoplakate ihrer damaligen Schwarms: Pierre Brice als Winnetou und Stewart Granger als Old Shatterhand, die Beatles und Freddy Quinn. Und der alte Plattenspieler war noch da, aufgeklappt, als habe er gerade gespielt, und auf dem Plattenteller lag eine LP von Bully Buhlan.
    Corinna setzte sich auf das niedrige Bett, streckte die Beine aus und betrachtete einen Brief, der in einem schlichten hellen Holzrahmen an der Wand gegenüber hing. Es war die Fotokopie eines internen, nur für die Akten bestimmten Schreibens von Professor Dr. W. Hornschuh, damals Ordinarius für Innere Medizin, der seinem Kollegen, dem Rektor der Universität, vertraulich mitteilte:
    »… Das nicht mehr duldsame Verhalten von Fräulein Doerinck erreichte seinen Höhepunkt in meiner Vorlesung vom 23. ds. Monats. Ich stellte aus meiner Klinik einen besonders interessanten und in der Prognose infausten Fall von chronischem Emphysem pulmonum vor und bat Fräulein Doerinck zur Diagnosestellung ans Krankenbett. Die Kandidatin fixierte die Kranke, streckte ihre Hände aus, ließ die flachen Hände in einem Abstand von etwa zehn Zentimetern über den Körper gleiten und sagte zu meinem und aller Anwesenden Entsetzen: ›In ein paar Wochen sind Sie gesund! Nur Ihre bisherige Behandlung ist falsch.‹ – Ich habe Fräulein Doerinck daraufhin mit schroffen Worten aus dem Kollegium gewiesen, mich bei der Patientin entschuldigt und nach dem Kolleg Fräulein Doerinck zur Rede gestellt. Sie stand im Flur und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Sie blieb dabei, daß die Patientin heilbar sei. Eine Woche später wurde mir hinterbracht, Fräulein Doerinck habe die unterdessen als Pflegefall nach Hause entlassene Patientin mehrfach besucht und ›durch Handauflegen behandelt‹. Subjektiv soll diese sich sogar besser fühlen. Jedenfalls ersuche ich ernsthaft darum, sich über eine Relegation von Fräulein Doerinck Gedanken zu machen. Ihr Verbleiben auf der Universität kann meines Erachtens nicht gerechtfertigt werden …«
    Nein, man warf sie nicht hinaus. Sie war von allein gegangen. Aber als sie beim Rektor der Universität vorsprach, um sich zu verabschieden, befand sich eine Dame in ihrer Begleitung, die zwar noch sehr blaß aussah, aber gut atmen konnte und fröhlicher Laune war.
    Sie hieß Emma Hennemann, war die Frau eines Fabrikanten für Stahlfedern und vor vier Monaten als unheilbarer Emphysemfall in die häusliche Endpflege entlassen worden. »An mir ist ein Wunder geschehen«, sagte sie mit etwas zuviel Pathos. »Ich bin gesund! Allein mit ihren Händen hat Corinna das geschafft. Mit den bloßen Händen! Sehen Sie sich das an!«
    Vor dem sprachlosen Rektor der Universität machte Frau Hennemann zehn Kniebeugen und stand da, ohne zu keuchen, ohne blau anzulaufen, ohne sich in einem Erstickungsanfall zu krümmen. »Für Professor Hornschuh war ich schon tot«, sagte sie mit Bitterkeit in der Stimme. »Irgend etwas stimmt da doch in der Medizin nicht! Darüber
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