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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das einzige, was mir an deinem Vater nicht gefiel – er hat X-Beine. Sie gefallen mir noch immer nicht. Ein Glück, daß du meine Beine geerbt hast.« Sie sah zu Stefan hinüber und neigte leicht den Kopf. »Kein Protest, Papuschka?«
    »Heute ist alles erlaubt, Milaschka!« rief Doerinck.
    »Warum heute?«
    »Du bist aus Münster zurück und bringst das Leben mit …«
    »Ja, ich bin aus Münster zurück.« Sie zog den Stuten zu sich, schnitt den Knapp ab und legte ihn auf ihren Teller. Corinna schob ihr die Butter zu, aber Ljudmila schmierte den Knapp nicht. Sie faltete die Hände über ihrem Teller und zog den Kopf etwas in den Nacken. »Ich muß euch etwas sagen …« Ihre Stimme klang ruhig und durch die russische Färbung faszinierend wie immer. »Dr. Willbreit war ehrlich zu mir, und ich will ehrlich zu euch sein. Seht euch an, wie ruhig ich bin … ihr sollt es auch sein: Ich werde noch sechs Monate leben können.«
    »Mat – Matjuschka …«, stammelte Doerinck. »Milaschka … Das ist doch nicht wahr …«
    »Willst du meinen Knapp essen?« sagte sie und lächelte ihn an. »Du kannst ihn haben, Stefanka …«
    *
    Die Sekunden des stummen Entsetzens waren lähmend.
    Corinna hatte den Kopf in den Nacken geworfen und die Augen geschlossen. Ihr Mund war zusammengekniffen, als schrumpfe ihr Gesicht unwiderstehlich zu einer Maske. Doerinck sprang nach zwei Augenblicken des Schocks auf und lief stumm im Zimmer hin und her. Ljudmila verfolgte ihn mit ihrem Blick, griff dann nach dem Messer, holte mit der Spitze ein Klümpchen Butter aus der Dose und begann den Stutenknapp zu bestreichen.
    »Wir müssen das ganz ohne Aufregung besprechen«, sagte sie. »Was haben wir davon, wenn wir jetzt den Kopf verlieren?« Sie legte das Messer hin und sah Stefan an, der schwer atmend auf sie niederblickte. »Weißt du noch, damals beim Rückzug aus dem Kaukasus: Eingeschlossen waren wir, und ich lag vor dir auf den Knien und habe dich angefleht, mich zu erschießen. Ich wollte nicht in die Hände der Roten Armee fallen. Niemand glaubte mehr, daß wir den Ring durchbrechen könnten. Doch da hast du gesagt: ›Solange ich noch einen Finger bewegen kann, ist nichts verloren!‹ – Und wir kamen durch, kamen tatsächlich durch.«
    »Das … das war doch etwas ganz anderes …«, stotterte Doerinck. Seine Stimme war gebrochen. »Wir hatten immerhin eine Chance. Aber jetzt, wenn der Arzt sagt …« Er schluckte, die Worte verschwammen in unterdrückten Tränen. Er wandte sich ab, stellte sich mit dem Rücken zur Wand, und seine Schultern zuckten.
    »Er hat gesagt: Sechs Monate, wenn ich mich nicht operieren lasse. Vielleicht drei Jahre, wenn die Operation gelingt und wenn keine Metastasen in der Leber sind. Vielleicht auch fünf Jahre. Vielleicht sogar vollkommene Heilung. Genaueres weiß man erst, wenn die Operation vorbei ist.«
    »Du hast vorhin erklärt, Mama, Dr. Willbreit sei mit der Untersuchung und der Diagnose zufrieden gewesen.« Corinnas Stimme war im Gegensatz zu der ihres Vaters klar und ungebrochen. Ljudmila schielte zu ihrer Tochter hinüber, als sie sich vorbeugte und sie mit geweiteten Augen ansah. Es war ein Blick, den Ljudmila wie einen Hitzestrahl empfand, weshalb sie sofort wieder den Kopf abwandte.
    »Ja, das stimmt. Er war zufrieden, daß seine Diagnose stimmte. Dickdarmkrebs.«
    »Du hast zu mir gesagt: Ich bin nicht krank …«
    »Ich bin auch nicht krank. Ich bin schon tot. Was jetzt noch Leben scheint, ist nur ein Übergangsstadium.« Sie schmierte den Knapp zu Ende und schob den Teller hinüber zu Stefans Platz. »Ihr seid alle so aufgeregt. Warum? Immer heißt es, man soll die Wahrheit sagen – doch weiß man sie, dann können die wenigsten sie ertragen. Papuschka, Cora, setzt euch! Bitte!«
    »Ich sitze ja.« Corinna wartete, bis ihr Vater von der Wand zurückkam und sich gehorsam an den Tisch setzte. Seine Augen waren gerötet, das Gesicht wie zerfallen. Fremd sah er plötzlich aus, und verzweifelt fragte sie sich: Das ist mein Vater? Wenn Mama stirbt, wird er bestimmt nicht lange überleben. Er wird sich auflösen, ganz einfach weggleiten. Sie können nur miteinander leben. Allein zurückbleiben wäre wie ein Verdorren. »Du willst dich nicht operieren lassen, Mama?«
    »Ich weiß es nicht. Das sollten wir jetzt besprechen. Dr. Willbreit hätte ab Zehnten nächsten Monats ein Bett frei. Vorher soll ich noch bestrahlt werden.«
    Sie griff in die Tasche ihres Kleides, zog einen Zettel heraus und las
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