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Dr. med. Erika Werner

Dr. med. Erika Werner

Titel: Dr. med. Erika Werner
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie stand verloren und ein wenig ängstlich in dem langen, weiß gekachelten Gang. Niemand beachtete sie.
    Hinter den in Gummi gelagerten, lautlosen Türen mit den großen Milchglasscheiben hatte die Arbeit bereits begonnen. Einige Ärzte standen in Gruppen auf dem Gang, diskutierten und rauchten. Sie hatten die OP-Mäntel in den Vorbereitungszimmern gelassen. In weißen Leinenhosen und kurzärmeligen Hemden lehnten sie an der Wand und besprachen die Operation.
    Den Eintritt der jungen Ärztin hatte niemand bemerkt. Als sie näher kam und den Kollegen zunickte, grüßte man nur kurz und sprach weiter.
    Aufmerksam las Dr. Erika Werner den Tagesplan auf der Tafel: 10 Uhr. Neurinom. Doz. Dr. Bornholm. OP I.
    Ihr Fall. Ihre erste Operation in diesem Riesenhaus der Hoffnungen und Schmerzen. Ihre erste Assistenz. Am vergangenen Abend war sie zu dieser Operation eingeteilt worden. Eilig war sie in die Bibliothek gerannt und hatte alles nachgelesen, was über Neurinome zu finden war. Bisher hatte sie nur gewußt, daß es Nervengeschwülste waren. Die halbe Nacht hatte sie am Tisch gesessen und die Operationslehren studiert. Am Ende wußte sie nur eins: Dr. Bornholm darf mich nicht ansehen. Ich werde alles falsch machen, wenn er mich ansieht.
    Die Gespräche auf dem Gang verstummten. Aus der Tür kam ein mittelgroßer, stämmiger Mann. Sein weißes Haar war schweißverklebt, die Brille beschlagen. Mit kritischem Blick übersah er die Versammlung der auf dem Gang wartenden Ärzte. Dann wandte er sich wortlos ab und ging mit schnellen, kleinen Schritten davon.
    Der Chef. Professor Dr. Rahtenau. Der König der Klinik.
    Als die Tür hinter ihm zupendelte, atmeten die Ärzte auf. »Na ja, scheint alles geklappt zu haben!« sagte einer laut. »Der Alte meckert nicht. Jetzt wird's gemütlich.«
    Erika Werner ging hinüber zu der Gruppe, die vor dem OP I stand. Das Team Dr. Bornholms, dem sie heute zugeteilt war.
    Aus dem Aufzug rollte ein Bett durch den Gang. Ein 20jähriges Mädchen starrte mit großen, ängstlichen Augen auf die vielen weißen Gestalten.
    Erika trat an das Bett heran. Sie hatte das Mädchen vor zwei Tagen auf ihrer Station kennengelernt. Dozent Dr. Bornholm hatte sich die Röntgenaufnahmen angesehen und fast zufrieden gesagt: »Welch ein Klotz von Neurinom im hinteren Mediastinum! Das werden wir herausholen! Bereiten Sie die Patientin auf die Operation vor.«
    Dann war er weitergegangen, ohne Erika zu beachten. Das war er. Dozent Dr. Alf Bornholm. Der Mann, von dem die Patientinnen schwärmten wie Verliebte. Der Arzt, dessen Diagnosen selbst Professor Rahtenau anerkannte. Der Chirurg, dessen Operationstechnik atemberaubend war.
    Erika Werner beugte sich über das Bett und legte ihre Hand auf die schweißnasse Stirn des Mädchens.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte sie leise. »Dr. Bornholm operiert Sie ja … In sechs Wochen sind Sie ganz gesund.«
    »Versprechen Sie mir das?«
    Erika Werner nickte. Sie strich behutsam über das schmale Gesicht des Mädchens.
    Die Tür des OP I ging einen Spalt breit auf. Der Narkosearzt steckte seinen Kopf heraus. »Wo bleibt die Thorakotomie?« rief er in den Gang. »Soll ich den Tubus selber schlucken?«
    Erika richtete sich auf. »Sie sind ja heute umwerfend höflich!«
    »Ei, ei, wer ist denn das?« Der Kopf des Anästhesisten wackelte im Türspalt. »Eine zartbesaitete Kollega! In einer Viertelstunde kommt der Oberarzt. Wenn dann die Kleine noch nicht intubiert ist, sollen Sie mal den Krach hören! Aber ich werde sagen: Zu was intubieren? Die Kollegin narkotisiert durch Handauflegen!«
    Die Ärzte auf dem Gang lachten. Erika Werner drehte sich wütend um. Das Bett mit dem ängstlichen Mädchen rollte in den Vorbereitungsraum des OP I. Idioten, dachte sie. Nur weil man ein Mädchen ist, nehmen sie sich diese Frechheiten heraus. Dabei sind sie wie geprügelte Hunde, wenn der Chef kommt.
    Mit gesenktem Kopf wollte sie zur Tafel zurückgehen. Aber nach ein paar Schritten stieß sie gegen eine weiße Brust. Erschrocken sah sie hoch.
    Oberarzt Dr. Bornholm stand vor ihr. Er war verblüfft. Daß man seine 1,85 Meter übersehen konnte, war ihm neu.
    »Hoppla!« sagte er. »Rammen Sie immer Ihren Kollegen den Brustkorb ein?«
    Erika trat einen Schritt zurück. »Verzeihung, Herr Oberarzt! Ich bin nur wütend. Ich scheine hier kindische Kollegen zu haben.«
    Bornholm sah hinüber zu den grinsenden Ärzten, dann zurück auf Erika Werner. Ihr Gesicht war gerötet, die blauen
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