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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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Senyora Elisenda sieht all dies in ihrer Dunkelheit. »Ich lade euch zum Essen ein«, sagt sie zaghaft.
    »Ich habe zu tun, Mamà«, sagt Marcel leise, zu seiner Mutter hinuntergebeugt.
    »Hier in Rom?«
    »Ja.«
    »Grüß Saverio Bedogni von mir.« Sie wendet sich an die anderen: »Und ihr, kommt ihr mit?«
    »Wärt ihr so freundlich, mir ein Taxi zu rufen?« Das sind beinahe die ersten Worte, die heute von Mertxe zu hören waren. Sie klingen eisig.
    »Romà, laß ein Taxi rufen.« Sie dreht den Kopf zur anderen Seite: »Und du, Sergi?«
    »Ich bin verabredet, Großmutter.«
    »In Rom gibt es keine Wellen.«
    »In Paramaribo. Die anderen erwarten mich dort in vierundzwanzig Stunden, und ich will sie nicht enttäuschen.«
    »Natürlich nicht.«
    »Auf Wiedersehen, Mamà.«
    »Auf Wiedersehen, Großmutter.«
    »Weißt du was, Sergi? Fahr du mich doch zum Flughafen.«
    »Ja, Mamà.«
    »Bestellen Sie das Taxi ab, Gasull.«
    »In Ordnung.«
    »Und du, Romà? Hast du auch zu tun?«
    »Nur, wenn du es mir sagst.«
    Senyora Elisenda erhebt sich ohne sichtbare Mühe. Irgend jemand schiebt den Rollstuhl zurück, und Gasulls zitternde Hände nehmen ihren Arm. Sie sagt leise zu ihm, wie schon unzählige Male zuvor: »Sind wir allein?«
    »Ja.«
    »Es ist niemand mehr hier?«
    »Nein. Nur du und ich.«
    »Sag das Essen ab.«
    »Müssen wir beide nicht etwas essen?«
    »Ich will mich hinlegen. Mir ist der Appetit vergangen.«
    »Wie du willst, Elisenda.«

66
    Ein langer, glänzender, lautloser Mercedes mit getönten Scheiben bremste sacht vor Marbres Serrallac S.L., einen halben Meter von der Wand entfernt, als fürchtete er, seine Karosserie staubig zu machen. Der Chauffeur stieg aus und öffnete eine Tür. Zwei zierliche Füße in glänzend schwarzen Schuhen mit silbernen Schnallen wurden vorsichtig auf den Boden gesetzt.
    Seit Jahren hatte er Senyora Elisenda nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Er hatte ihre dunklen Brillengläser noch nicht gesehen, hinter denen sie ihre blinden Augen verbarg, obwohl er ihr direkt gegenüber auf der anderen Seite des Dorfplatzes wohnte, nur einen Steinwurf, aber tausend Geschichten von ihr entfernt. Sie stellte sich vor ihn hin, flankiert von ihrem Chauffeur und einem Mann, der ebenso hager war wie sie. Den habe ich schon oft gesehen, aber ich weiß nicht, ob er ein Verwandter ist oder so.
    »Senyora Elisenda möchte den Zenotaphen sehen«, sagte der Hagere.
    »Das ist kein Zenotaph; es ist ein Mahnmal. Ein Gedenkstein.«
    »Wie auch immer.«
    Er führte sie in die Werkhalle. Im Hintergrund schrillte eine Kreissäge. Serrallac hob den Arm, und die Säge verstummte gehorsam. Aus dem erleuchteten Büro kam Amèlia heraus, und als sie die Besucherin erkannte, trat sie mit einem breiten Lächeln auf sie zu.
    »Gerade eben wird er auf den Lastwagen verladen.«
    Die Dame neigte ihrem Begleiter den Kopf zu. Dieser sagte fest: »Laden Sie ihn ab.«
    Der Tonfall duldete keinen Widerspruch. Der drei Tonnen schwere Gedenkstein wurde wieder abgeladen und in die Mitte der Werkhalle gestellt, und Cesc fluchte unterdrückt, weil sie noch dazu verlangten, daß sämtliche Haltegurte abgenommen würden. Dann trat Senyora Elisenda von Casa Gravat in Begleitung der beiden Männer auf den Stein zu und legte eine Hand auf die rauhe Granitfläche. Dann die andere Hand. Jetzt hätte sie gerne wieder gesehen. Sie hatte sich ergeben an die große immerwährende Schwärze vor ihren Augen gewöhnt, vielleicht, weil ihr Geist so lebendig blieb, ja sich noch besser konzentrieren konnte, weil er nicht abgelenkt wurde. Aber jetzt, ja, jetzt würde ich gerne sehen können, Oriol, um zu wissen, ob sie deinen Stein genau so gemacht haben, wie ich angeordnet habe. Sie ging einmal um den Gedenkstein herum, in Gedanken weit in der Vergangenheit.Als sie ihre Runde beendet hatte, wandte sie sich der Marmorplatte zu und verfolgte mit begierigen Fingerspitzen Buchstabe um Buchstabe, was ihr Begleiter ihr ins Ohr flüsterte. Nachdem sie den ganzen Gedenkstein geprüft hatte, drehte sie den Kopf und fragte: »Serrallac? Ist Serrallac hier irgendwo?«
    »Was wünschen Sie?« fragte Serrallac, wütend auf sich selbst, weil er sie gesiezt hatte.
    »Danke schön. Er ist genau so, wie ich ihn wollte. Hast du die Anweisungen für die Aufstellung?«
    »Ja, ja. Dort, wo früher die Schule stand.Wir haben schon das Fundament gegossen.«
    »Danke, Pere.«
    »Jaume. Ich bin Peres Sohn.«
    Einen Augenblick lang war Senyora
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