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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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verraten. Oder wir irren uns, denn wir Frauen neigen auch dazu, unseren Partnern eine Vielzahl verflossener Geliebter zuzuschreiben, und treffen nicht immer ins Schwarze.
    Je näher ich kam – sechs, sieben, acht, ich musste den einen oder anderen Tisch umgehen und den flinken chinesischen Kellnern ausweichen, mein Weg verlief nicht in gerader Linie –, desto besser sah ich sie und sah sie glücklich und ruhig, ins Gespräch vertieft, fast allem entrückt außer sich selbst. Bei einem meiner Schritte überkam mich so etwas wie Freude für Luisa, vielleicht auch Einverständnis oder Erleichterung. Bei unserer letzten Begegnung, vor so langem schon, hatte ich gewaltiges Mitleid für sie empfunden. Sie hatte mir von dem Hass erzählt, den sie gegenüber dem Parkeinweiser nicht aufbrachte: ›Nein, ihn hassen, bringt nichts, das tröstet und stärkt mich nicht‹, hatte sie gesagt. Und den sie ebenso wenig einem extra angereisten, abstrakten Killer hätte entgegenbringen können, wenn einer von ihnen Deverne umgebracht hätte, als Auftrag. ›Ganz anders bei den Anstiftern‹, hatte sie hinzugefügt und mir dann einen Teil von Covarrubias’ Definition von ›Neid‹ vorgelesen, aus dem Jahr 1611, obwohl auch davon nichts, wie sie bedauernd sagte, für den Tod ihres Mannes herhalten konnte: »Am Ärgsten ist, daß dieses Gift oftmals dem Busen derer entspringt, die uns am meisten freund sind, und wir vertrauen ihnen, da wir sie als solche ansehen; diese sind verderblicher als die erklärten Feinde.« Gleich darauf hatte sie mir gestanden: ›Er fehlt mir immerzu, weißt du? Fehlt mir beim Aufwachen, beim Hinlegen, beim Träumen und den ganzen Tag dazwischen, als trüge ich ihn ständig mit mir, als hätte ich ihn mir einverleibt, buchstäblich.‹ Da dachte ich, während ich immer näher kam – neun, zehn –: Das war einmal, sie wird sich befreit haben von seinem Leichnam, von ihrem Verstorbenen, ihrem Gespenst, das gut daran getan hat, nicht zurückzukehren. Jetzt sitzt da jemand vor ihr, und beide können sich miteinander ihr Los verdecken, wie es von den Liebenden heißt, in einem Vers, an den ich mich vage erinnere, etwas in der Art besagt der alte Vers, den ich in meiner Jugend gelesen habe. Ihr Bett wird nicht mehr betrübt sein, auch kein Trauerbett mehr, Nacht für Nacht wird sich ein lebendiger Leib hineinlegen, dessen Gewicht ich gut kenne, es zu spüren, war angenehm.
    Ich sah, dass sie sich umblickten, als sie bei den letzten Schritten meine Gestalt, meinen Schatten bemerkten – elf, zwölf und dreizehn –, er mit Schrecken, als fragte er sich: ›Was macht die hier? Woher kommt sie? Weshalb ist sie hier, um mich zu verraten?‹ Aber sie sah seine Miene nicht, denn sie schaute mich an, bereits voll Sympathie, mit rückhaltlosem Lächeln, offen und warm, als hätte sie mich sofort wiedererkannt. Und so war es, denn sie rief aus:
    »Die junge Besonnene!« Mit Sicherheit erinnerte sie sich nicht an meinen Namen.
    Sie stand sofort auf, gab mir zwei Küsse, umarmte mich fast, und ihre Herzlichkeit erstickte sofort jede Absicht, Díaz-Varela etwas zu sagen, was Luisa gegen ihn aufbringen oder dazu führen konnte, dass sie ihn mit Misstrauen, Bestürzung oder Ekel ansah oder den Anstifter hasste, wie sie mir angekündigt hatte; nichts, was sein Leben zerstörte und somit auch das ihre, nichts, was die Ehe der beiden zerstörte, wie mir eben noch in den Sinn gekommen war. Wer bin ich, um das Weltall aufzustören?, dachte ich. Auch wenn andere so handeln, wie der Mann da vor mir, der so tut, als wäre ich ihm unbekannt, obwohl ich ihn aufrichtig geliebt, ihm kein Leid zugefügt habe. Sollen andere das Weltall zerlegen, beuteln und ihm schlimmste Gewalt antun, das zwingt mich nicht, ihrem Beispiel zu folgen, nicht einmal unter dem Vorwand, dass ich im Gegensatz zu ihnen eine krumme Tat geradebiegen, einen möglichen Schuldigen strafen und somit der Gerechtigkeit Genüge tun würde. Ich sagte bereits, Recht und Unrecht sind mir einerlei. Warum sollten sie mich angehen, denn wenn Díaz-Varela, ganz wie der Anwalt Derville in seiner fiktiven Welt, in seiner Zeit, die nicht vergeht, sondern stillsteht, in einem Recht hatte, dann mit folgenden seiner Worte: ›Die Zahl der ungesühnten Verbrechen übersteigt bei weitem die der bestraften; von den unbekannten, verborgenen ganz zu schweigen, deren Zahl ist zwangsläufig unendlich höher als die der bekannten und verbürgten.‹ Und vielleicht auch mit diesen:
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