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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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Desvern gesprochen hatte, laut Javier. Und da glaubte ich, klar – oder klarer – zu sehen, dass es diese Krankheit nie gegeben hatte, es sei denn, das mit den fünf Stunden wäre falsch oder ein Irrtum gewesen, die Zeitungen hatten sich bei der Nachricht nicht einmal darüber einigen können, in welches Krankenhaus man den Sterbenden gebracht hatte. Nichts stand definitiv fest, versteht sich, jedenfalls hatte Ruibérriz’ Version die von Díaz-Varela nicht widerlegt. Auch das musste nichts besagen, denn es hing davon ab, wie viel er ihm offenbart hatte, als er ihm den blutigen Auftrag anvertraute. Vermutlich gab mir der Ärger diese flüchtige Überzeugung ein – oder mehr als flüchtig, ein ganzes Weilchen in dem chinesischen Restaurant –, jetzt klarer zu sehen (nachher sah ich es wieder trüber, zu Hause, wo das Pärchen nicht anwesend war und Jacobo auf mich wartete). Ich glaube, der Ärger kam in mir auf, weil ich sah, dass Javier am Ende seinen Willen durchgesetzt hatte, weil ich entdeckte, dass er wie vorgesehen ans Ziel gelangt war. Letztlich hegte ich noch Groll gegen ihn, obwohl ich mir niemals Hoffnungen gemacht hatte und ihm nicht vorwerfen konnte, mir falsche gemacht zu haben. Ich spürte nicht etwa moralische Entrüstung, auch keine übertriebene Gerechtigkeitsliebe, es war elementarer, vielleicht schäbiger. Recht und Unrecht waren mir einerlei. Zweifellos befiel mich rückblickende Eifersucht oder Verbitterung, dagegen ist wahrscheinlich keiner gefeit. Schau sie dir an, dachte ich, da sind sie nun, nach all der Geduld und Zeit: Sie, in etwa wiederhergestellt und zufrieden, er, frohlockend, beide verheiratet, ohne einen Gedanken an Deverne oder mich, nicht einmal Ballast war ich für sie. Es liegt in meiner Hand, diese Ehe auf der Stelle zu zerstören und sein Leben dazu, das er sich aufgebaut hat, widerrechtlich wie ein Usurpator, ja, das ist der Ausdruck. Ich muss bloß aufstehen, an ihren Tisch treten und sagen: ›Sieh an, du hast es also geschafft, hast das Hindernis aus dem Weg geräumt, ohne dass sie Verdacht geschöpft hat.‹ Mehr müsste ich nicht hinzufügen, keinerlei Erklärung abgeben, nicht die ganze Geschichte erzählen, würde mich umdrehen und gehen. Das wäre genug, diese Andeutung, um Luisa den Stachel einzutreiben, sie würde quälende Rechenschaft von ihm verlangen. Ja, so einfach ist es, jemandem den Zweifel einzupflanzen.
    Kaum hatte ich das gedacht – allerdings viele Minuten lang, hatte es mir wie ein Lied wiederholt, das sich ins Ohr eingeschlichen hat, schwieg dabei und spürte die Hitze in mir aufsteigen, die Augen starr auf die beiden gerichtet, ich weiß nicht, wie sie es nicht merkten, sich nicht versengt und durchbohrt fühlten, meine Augen mussten wie die Glut, wie Nadeln sein –; kaum hatte ich das zu Ende gedacht, musste ich, so ungewollt und unwillkürlich wie vorhin die Geste des Lippenberührens, vom Tisch aufstehen, ließ dabei die Serviette nicht los und sagte der Freundin des gefeierten Hochstaplers, der Einzigen, für die ich noch existierte und die mich eventuell vermissen würde, wenn ich länger wegblieb:
    »Entschuldigt, bin gleich wieder da.«

Im Grunde wusste ich nicht, was mich antrieb, oder der Antrieb änderte sich mehrmals in Sekundenschnelle, während ich die Schritte tat – eins, zwei, drei –, die mich von meinem Tisch zu ihrem führten. Ich weiß, mir schoss flüchtig dieser Gedanke durch den Kopf, der sich nur so viel langsamer ausdrücken lässt, während ich ging, ohne zu merken – vier, fünf –, dass ich meine zerknüllte, befleckte Serviette in der Hand hielt: Sie kennt mich kaum, muss nicht mehr wissen, wer ich bin, bis ich mich vorstelle und sie aufkläre, nach so langer Zeit; für sie werde ich eine Unbekannte sein, die auf sie zukommt. Er dagegen kennt mich gut und wird mich sofort erkennen, hat aus Luisas Sicht jedoch theoretisch noch weniger Grund, sich an mich zu erinnern. Theoretisch haben er und ich uns nur ein einziges Mal gesehen und dabei kaum ein Wort gewechselt, beide zu Besuch bei ihr, an einem Abend vor über zwei Jahren. Er wird so tun müssen, als wüsste er nicht, wer ich bin, das Gegenteil wäre merkwürdig in seinem Fall. Also liegt es auch in meiner Hand, ihn in dieser Hinsicht zu entlarven, wir Frauen merken meist sofort, ob eine andere Frau, die auf uns zutritt, um unseren Begleiter zu begrüßen, früher eine Beziehung mit ihm hatte. Es sei denn, beide verstellten sich perfekt, ohne sich zu
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