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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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und konnte es dann getrost vergessen. Zumindest stellte ich sicher, dass es mich nie mehr hinterrücks überfallen würde, niemals überraschend.
    Fast hätte ich nach diesem Schachzug den Verlag verlassen, damit ich nicht weiter in das Café gehen, es nicht einmal von meinem Büro aus sehen musste, auch wenn es die Bäume zum Teil verdeckten; damit nichts mich an etwas erinnern konnte. Ich war es auch leid, mich mit den lebenden Autoren herumzustreiten – welch eine Wohltat sind die, die einem nicht mehr auf die Nerven gehen, nicht mehr versuchen, an ihrer Zukunft zu deichseln, wie Balzac, der schon am Ziel war –; leid war ich die aufdringlichen Anrufe der Nervensäge Cortezo, die Forderungen des widerwärtigen, geizigen Garay Fontina, die Cyberspace-Allüren der falschen jungen Wilden, einer ignoranter, stumpfsinniger und zugleich besserwisserischer als der andere. Aber die Angebote der Konkurrenz überzeugten mich nicht, trotz der Gehaltsaufbesserung: Überall würde ich mit Schriftstellern von maßlosem Ehrgeiz zu tun haben, die noch die gleiche Luft atmeten wie ich. Eugeni, etwas träge und zerstreut, übertrug mir außerdem immer mehr Verantwortung, drängte mich, Entscheidungen zu treffen, was ich auch tat: Ich vertraute darauf, dass bald der Tag kommen würde, an dem ich mich irgendeines Fatzkes entledigen konnte, ohne um Erlaubnis zu fragen, vor allem dieser so drohend über König Carl Gustav schwebenden Plage, die unermüdlich an ihrer Rede auf Küchenschwedisch feilte (wer ihn beim Proben gehört hatte, versicherte, dass sein Akzent entsetzlich war). Aber vor allem begriff ich, dass ich meiner Umgebung nicht entfliehen durfte, sondern sie aus eigener Kraft beherrschen musste, wie es wohl auch Luisa mit ihrer Wohnung getan hatte, indem sie sich zwang, weiterhin darin zu leben und nicht überstürzt umzuziehen, sie von dem zu befreien, was besonders sentimental und traurig aufgeladen war, ihr eine neue Alltäglichkeit zu geben, sie sich neu aufzubauen. Ja, ich merkte, dass dieser Ort für mich mit Gefühl getränkt war, das man weder täuschen noch missachten kann, mag es auch halbe Einbildung sein. Man kann sich höchstens mit ihm arrangieren, es beschwichtigen.
    Fast zwei Jahre vergingen. Ich lernte einen anderen Mann kennen, der mich hinlänglich interessierte und unterhielt, Jacobo (auch er kein Schriftsteller, dem Himmel sei Dank), auf sein Bitten hin verlobte ich mich mit ihm, wir machten gemächliche Heiratspläne, ich schob es immer wieder hinaus, ohne abzulehnen, die Ehe hat mich noch nie verlockt, mich bewog eher mein Alter – tief in den Dreißigern – als der Wunsch, jeden Tag in Gesellschaft aufzustehen, ich sehe nicht, was das für einen Reiz haben soll, schlecht wird es vermutlich auch nicht sein, wenn man den liebt, der neben einem liegt, neben einem schläft, wie es – wie auch nicht – bei mir der Fall ist. Einiges von Díaz-Varela vermisse ich immer noch, doch das ist eine Sache für sich. Es macht mir kein schlechtes Gewissen, nichts ist unvereinbar im Reich der Erinnerung.
    Ich saß gerade mit einer Gruppe im chinesischen Restaurant des Hotel Palace beim Abendessen, da sah ich sie, ungefähr drei, vier Tische weiter. Ich hatte gute Sicht auf beide, auf ihr Profil, als säße ich im Parkett und sie auf der Bühne, nur auf gleicher Höhe. Tatsächlich wandte ich kaum die Augen von ihnen – sie waren wie ein Magnet –, es sei denn, einer der Tischgäste richtete das Wort an mich, was selten geschah: Wir kamen von einer Buchpräsentation, einige waren Freunde des arroganten Autors, die ich nicht kannte; sie unterhielten sich untereinander und gingen mir nicht auf die Nerven, ich war dort als Vertreterin des Verlags und um am Ende die Rechnung zu bezahlen, versteht sich; die meisten am Tisch schienen es mit dem Flamenco zu haben, und meine größte Angst war, sie könnten plötzlich gut versteckte Gitarren hervorziehen und nach jedem Gang losschmettern. Abgesehen von der Peinlichkeit, hätten sich dann auch Luisa und Díaz-Varela zu unserem Tisch umgedreht, die momentan allzu sehr miteinander beschäftigt waren, um auf meine Gegenwart inmitten eines Kränzchen von Lockenköpfen zu achten. Doch wer weiß, vielleicht würde sie mich gar nicht mehr erkennen. Allerdings fiel der Freundin des Romanciers auf, dass ich immerzu in eine bestimmte Richtung starrte. Sie wandte sich ungeniert um und betrachtete die beiden eine Weile, Javier und Luisa. Ich hatte Angst, ihr dreister Blick
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