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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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geführt hatte. Mir fiel ein, dass er Luisa bei dem belauschten Gespräch, als die Rede auf sie kam, nicht namentlich erwähnt hatte. Für Ruibérriz war ich eine ›Typin‹ gewesen, sie ihrerseits ›die Frau‹, nichts weiter, in der unzweifelhaften Bedeutung von Ehefrau. Als wäre es niemand, der ihm nahestünde. Als wäre sie dazu verdammt, nichts anderes zu sein als die Frau seines Freundes. Ruibérriz hatte die beiden bestimmt nie zusammen gesehen, weshalb ihm nicht ins Auge hatte springen können, was für mich vom ersten Moment an offensichtlich gewesen war, an jenem Abend bei Luisa. Ich nahm an, dass es auch Professor Rico aufgefallen war, obwohl, wer weiß, er schien zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um auf die Außenwelt zu achten, zerstreut, wie er war. Ich wollte nicht darauf beharren. Ruibérriz hatte wieder den abwesenden, versunkenen Blick. Es gab nichts mehr zu bereden. Er hatte sein Flirten aufgegeben, das wohl tatsächlich echt gewesen war, ein schöner Reinfall für ihn. Mehr Klarheit würde ich nicht erlangen, und es war mir auch einerlei. Ich wollte nichts mehr wissen, zumindest für heute oder für die nächsten hundert Jahre.
    »Was ist in Mexiko passiert?«, fragte ich auf einmal, um ihn aus seiner leichten Benommenheit zu reißen, ihn zu animieren. Ich merkte, dass es nicht schwer sein würde, Sympathie für ihn zu entwickeln. Gelegenheit dazu würde es nicht geben, ich hatte keine Absicht, ihn mein Lebtag wiederzusehen, ebenso wenig Díaz-Varela, Luisa Alday, sie alle. Ich hoffte, dass der Verlag kein Buch von Rico einkaufte.
    »In Mexiko? Woher weißt du, dass etwas in Mexiko passiert ist?« Das war für ihn mehr als eine Überraschung, daran hatte er sich nicht im Traum erinnert. »Nicht einmal Javier kennt die ganze Geschichte.«
    »Du hast davon geredet, als ich hinter der Tür lauschte. Dass du dort irgendein Problem hattest, vor langem. Man würde dich dort suchen, du seist vorbestraft, etwas in der Art hast du gesagt.«
    »Verdammt, dann hast du tatsächlich gelauscht.« Sofort fügte er hinzu, als müsste er dringend etwas klarstellen, was ich nicht wusste: »Auch das war kein Mord, auf keinen Fall. Reine Selbstverteidigung, er oder ich. Außerdem war ich erst zweiundzwanzig …« Er unterbrach sich, merkte, dass er zu viel ausplauderte, im Grunde immer noch in seinem Gedächtnis kramte oder mit sich selbst sprach, nur laut vor einem Zeugen. Meine Bemerkung hatte ihn getroffen, dass ich Desverns Tod als Mord bezeichnet hatte.
    Ich erschrak. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass er noch einen Leichnam auf dem Buckel hatte, ungeachtet der Umstände. Ich hatte ihn für ein bloßes Schlitzohr gehalten, kaum fähig zu einer Bluttat. Das mit Deverne hatte ich als Ausnahme interpretiert, als etwas, zu dem er sich verpflichtet gefühlt hatte, und letztlich hatte nicht er zur Waffe gegriffen, hatte ebenfalls delegiert, wenn auch weniger als Díaz-Varela.
    »Ich habe nichts gesagt«, antwortete ich rasch. »Es war nur eine Frage, ich weiß nicht, wovon du sprichst. Aber es ist mir fast lieber, nichts weiter zu wissen, wenn noch ein Toter im Spiel ist. Lassen wir es dabei. Da sieht man, dass man keine Fragen stellen sollte.« Ich schaute auf die Uhr. Auf einmal war es mir unbehaglich, dort zu sitzen, wo Desvern immer gesessen hatte, und mit seinem indirekten Henker zu sprechen. »Ich muss auch gehen, es ist spät.«
    Er achtete nicht auf meine letzten Worte, grübelte weiter. Ich hatte ihm den Zweifel eingepflanzt, ich hoffte, dass er nun nicht zu Díaz-Varela ging und ihn nach Luisa fragte, ihn zur Rede stellte, worauf dieser wiederum mich angerufen hätte, wer weiß, um mich herunterzuputzen. Oder Ruibérriz war in Gedanken bei der Geschichte in Mexiko, eine Ewigkeit her, es war offensichtlich, dass sie ihn immer noch belastete.
    »Schuld war Elvis Presley, weißt du?«, sagte er nach einigen Sekunden in einem anderen Ton, als hätte er endlich ein letztes Mittel gefunden, mich zu beeindrucken und nicht ganz umsonst abziehen zu müssen. Er sagte das in vollem Ernst.
    Ein wenig musste ich lachen, konnte es mir nicht verkneifen.
    »Meinst du Elvis Presley persönlich?«
    »Ja, ich habe zehn Tage lang mit ihm gearbeitet, bei Dreharbeiten in Mexiko.«
    Jetzt lachte ich vollends auf, trotz der finsteren Umstände.
    »Ist gut«, sagte ich immer noch lachend. »Auf welcher Insel lebt er denn nun, wie seine Fans vermuten? Mit wem versteckt er sich, mit Marilyn Monroe
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