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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt
Autoren: Jürgen Schreiber
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er schweigt: »Albert, ich möchte dieses Gespräch führen.« Vielleicht ein Ausdruck von Erleichterung, dass die lange Flucht vor sich selbst ein Ende hat. Es wäre ihr lieber, er verließe das Zimmer. Der Gatte trollt sich in die Essecke, sitzt ihr wie ein böser Vogel im Nacken. Sie nimmt am Couchtisch Platz. Das sehr weiße Gesicht und der Hals beim Zurücktasten ins Gestern zunehmend von fliegender Röte überzogen. In Stimme und Blick liegt etwas Lauerndes. »Honett« will wissen, was man über sie weiß.
    Das gepflegte Ambiente erzählt vom privilegierten Leben; Bonzensalär rund 3000 Ost-Mark monatlich. Häkeldecken, Rosen auf dem Tisch. Auf dem Sideboard Porzellanhirsch und Nippes. Über dem Sofa eine südliche Landschaft mit Boot und Steg. Im Büfett die Sammlung kobaltblauer Gläser. Von Schuberts Allmacht blieb nur Spießigkeit übrig. Wo steht die Kristallvase »im Wert von 840 Mark«, die er samt 25-Mark-Strauß zum Sechzigsten von Schreckensmann Mielke erhielt? Wo liegt der »Generalsehrendolch mit Gravur«, Präsent beim Abschied anno 84 samt »Handwerker-Hobbykoffer mit Zubehör für 1059,60 Mark«, von unermüdlichen Kalfaktoren akribisch festgehalten. Nicht zuvergessen die Walther-Pistole 408636, Initialen »AS«, Geschenk von Generalleutnant Neiber.
    Ein Gespräch am Abgrund. Frau Schubert gibt millimeterweise Einblick in die schwarze Kammer der Erinnerung. 1954 sei ihre Mutter wegen des geflüchteten Sylvester in Haft gewesen. Wiewohl geschieden, lebten sie in der Schweriner Speicherstraße 8 zusammen. Der Papa sei eines Tages verschwunden. »Er hat nur einen Zettel auf dem Nachttisch hinterlassen.« Es sei ihr darum zu tun gewesen, »den Vater zurückzuholen, damit Mutti freikommt«. Ihr Ziel Dieburg habe sie nicht gekannt: »Ich dachte, es ist Duisburg.« In Heubach habe Murau »Treue zur Arbeiterklasse« gelobt. Und: »Der Vater ist freiwillig mitgekommen!« Im Urteil gegen H. und T. (den sie auf dem Foto nicht erkennen will) steht freilich: Sie hätten aus Cullmanns Mitteilung gewusst, »dass die Verbringung des Murau in die Sowjetzone
gegen
dessen Willen erfolgte«.
    Verglichen mit Gittis lakonischem Abriss, sind die der Gauck-Behörde vorliegenden Dokumente von bestürzender Klarheit. Ihr Albert persönlich beglaubigte wie notariell die ruchlose Komplizenschaft: »Die IM ›Honett‹«, notierte der Kenner für Stasi-Zwecke, »verfügte damals auf Grund der gegebenen Umstände als einzige Person über die Möglichkeit, die Haupt rolle … zu übernehmen.« Mikroskopisch genau wie für einen packenden Vortrag verbürgt sein »Bericht« am 7. September 78: »Nach erfolgter Überprüfung auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sowie der ihrerseits vorliegenden Bereitschaft« sei sie zielgerichtet vorbereitet und »zum Einsatz gebracht« worden. Die faktengetreue Heroisierung der IM (und damit auch seine) entlarvt heute beide. Mielke spendiert ihr im Februar 79 die Verdienstmedaille, Dank an die Akteurin für »hohe persönliche Einsatzbereitschaft und exakte Durchführung übertragener komplizierterAufgaben«. Konspirativ perfekt durfte sie »Lumps« wegen in Personalbögen auf die Frage: »Sind Sie oder Ihre Verwandten vorbestraft?« wahrheitswidrig »nein« sagen. »Schwartz«-Schubert vereinbarte 64 mit der SEDlerin, »die gesamte Angelegenheit mit ihrem Vater« in Unterlagen zu verschweigen. Murau sei »frühzeitig verstorben« zu nennen. Das stimmte irgendwie.
    Im Gespräch erwähnt sie des Vaters Sauftouren, das unstete Leben, Gewalt gegen die Familie. Er habe hinter Gittern gesessen: »Wer Murau jetzt zum Helden machen will, ist schiefgewickelt.« Fast wortgleich hatte sie ihn 54 laut Personalakte als Säufer und tripperkranken Schläger beim MfS denunziert. Mit einer anderen habe er nach Amerika abhauen wollen. Der SSD nutzte das private Unglück, trickste Murau aus, vollendete damit gnadenlos die Familientragödie. Dass er für die Flucht in der DDR bestraft werden sollte, dafür hat sie noch heute Verständnis, lässt sich in diesem Sinne ein: »Sibirien ja, aber nicht die Todesstrafe.« Ende 55 kam die Mutter aus der Haft frei. Danach habe man »kein einziges Mal mehr darüber gesprochen«. Sie wiederholt: »Kein einziges Mal.«
    Schweigen über das Unsagbare. Verdrängen, um eigene Beklemmung in Schach zu halten. Nur indem die Tochter das Kapitel strich, konnte sie dem letzten, trostlosen Eindruck vom Vater wehren, lebendig noch, aber ein hilfloses Bündel Mensch im SSD-Auto.
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