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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt
Autoren: Jürgen Schreiber
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Tage gehangen. Denn Mitte der fünfziger Jahre gingen mehrere Schweriner Kader stiften. Spektakulär Bruno und Susanne Krügers Flucht; er Vernehmungsoffizier, sie Sekretärin. Sylvester und Anni Murau begleiteten die Frau nach Marienfelde. Er zahlte ihre Fahrkarte. Krügers offenbarten sich westlichen Diensten. Auch da schlug die Stasi zu. Tod durch die Dresdner Guillotine am 14. September 55.
    Ihr Leidensgefährte Murau hätte formal vors Bezirksgericht Schwerin gehört. Dort amtierte mit Hans Lischke ein der SEDDoktrin nicht 150-prozentig ergebener Vorsitzender. Deshalb suchte man sich nach den Worten von Werner Barfus, 16 Jahre Sekretär am Obersten DDR-Gericht, eine gefügigere Richterin: »Det war die Lucie.« Korrekt: Lucie von Ehrenwall. In ihrem Cottbuser Zimmer 105 bezeugten heimelige Blumentapeten. Gardinen, übertrieben farbenfrohe Sessel und die einem Riesenbonbonähnelnde Deckenlampe die Banalität des Bösen. Praktischerweise lag der Stasi-Knast neben dem Justizpalast.
    Wehe dem, der sein Schicksal in Ehrenwalls Hände legen musste, im Volksmund »Blut-Lucie« genannt. Außer Murau überantwortete die einstige Exportsachbearbeiterin bis zu zehn weitere Angeklagte dem Henker. Ihre, so hieß das, »Hinrichtungsstrecke« legt den Verdacht nah, die gnadenlose Adlige habe den Werktätigen strafend Gesinnungstreue beweisen müssen. Eine Beurteilung lobt an ihr »Intelligenz«, »sicheres Auftreten« und kritisiert: »Ihr Verhalten erweckt mitunter den Eindruck, dass sie sich gern in den Vordergrund stellt.« Eine ehrgeizige Nervensäge also. 1932 trat »Lucius« in die KPD ein, besuchte 45/46 die Volksgerichtsschule Potsdam mit »befriedigend«, stieß ohne Jurastudium zum Obersten DDR-Gericht. Dort erlebte Sekretär Barfus die Juristin hautnah: »Sie war der Partei ergeben bis zum Tz.« Ruhiges Gebaren. »Ich kann nicht bestätigen, dass sie eine große Klappe hatte.« Nach harten Sitzungen weinte sie sich bei der »Kadertante« aus.
    Wer sterben muss wie Murau, stirbt einen vielfach erlittenen Tod. Die seiner Liquidierung vorausgehende Pseudoverhandlung lief auf ein finsteres Schauspiel hinaus: Racheengel Ehrenwall, erhöht auf Podest und thronartigem Stuhl. Das Licht fiel durch schöne Rundbogenfenster in den Saal. Ausschluss der Zuschauer wegen »Gefährdung der öffentlichen Ordnung« 9.10 Uhr. Der Verlorene »verzichtete« auf einen Verteidiger, aus welchen handfesten Gründen auch immer. Das nie publizierte, mit Hammer und Zirkel gesiegelte Urteil 1 Ks 30/56 durchzieht eine heruntergekommene Sprache. Es strotzt von Schreib- und Tippfehlern. Kein Wort über die Entführung aus Heubach. »Im Namen des Volkes« wird der Verschleppte auf acht Seiten niedergemacht. Ende des kurzen Prozesses um 16.50 Uhr.
    Aus dem »Schuldspruch« kann nur mit Vorbehalt zitiert werden. Die kaum erträgliche Mischung von Dichtung und Wahrheit ist ein politisches Konstrukt. Demnach besuchte der Fleischersohn die Mittelschule, lernte Metzger. Murau arbeitete als Viehhändler, Kohlelader, Lokheizer. 1944 wegen Wilddieberei und verbotenen Waffenbesitzes zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, Haft in Celle. Nach dem Krieg brachte er seine geschiedene Ehefrau mit den Kindern nach Wismar. Dort arbeitete er bei der Volkspolizei. Im November 49 übernahm ihn die Stasi Schwerin; Vize-Abteilungsleiter. Entlassung im April 51, angeblich, weil er die Zeit beim faschistischen Selbstschutz in Polen verschwieg. Seine Version liest sich diametral anders. Mit blauem Farbstift brachte er zu Papier, nach Morden auf Usedom habe er die Kreis-Chefin E. und den SED-Chef C. als Täter angesehen. Deshalb flog er raus.
    In Ehrenwalls seelenloser Prosa heißt es, der geflohene Krüger habe Murau im Oktober 53 in Westberlin mit dem US-Agenten »Reinhold« bekannt gemacht. Von dem habe er den Auftrag erhalten, Schweriner SSD-Mitarbeiter für den Spionagedienst anzuwerben. »Für die Annahme dieses Auftrages bekam der Angeklagte 40.– DM der Bank Deutscher Länder.« 35 Personen habe er als ihm bekannte MFSler bestätigt. Im Oktober 54 Verlassen der Republik mit dem Ziel, »die bereits in der DDR begangenen Verbrechen in größerem Umfang fortzusetzen«. In drei Briefen an die Kinder »infame Hetze« gegen Organe der Staatssicherheit. Er sei sich im Klaren darüber gewesen, seine Informationen würden »zur Führung des Kalten Krieges gegen die DDR, durch den die Imperialisten die Entfesselung eines neuen Weltkrieges erstreben«, verwendet. Die krause
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