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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt
Autoren: Jürgen Schreiber
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Pullover.
    Am 12. Juli 1955 kündigte sie dem über Westberlin ins hessische Heubach geflüchteten Vater brieflich ihr Kommen an. Er lebte zurückgezogen im Hinterhaus der »Goldenen Krone«. Mit Brigittes nachfolgendem Telegramm vom 17. Juli klopft der Tod sanft bei ihm an. Die Nachricht lautete: »Treffe Montag 10.03 Uhr in Dieburg ein. Gitti.« Die acht Wörter kosteten laut DDR-Gebührenordnung »für den Verkehr nach Westdeutschland« drei Mark – und in grausiger Konsequenz Sylvester Murau den Kopf. Er hatte sich in der neuen Heimat korrekt angemeldet. Aber, so das Rathaus: »Eine Abmeldung ist … nicht verzeichnet.«
    Wie auch. Die DDR-Staatssicherheit (SSD) ließ den Abtrünnigen in die Sowjetzone verschleppen; die Details des von SEDGanoven ersonnenen Verbrechens sind selbst für die Zeit desKalten Krieges ohne Vergleich. Ende Oktober 1954 bietet Gitti der Stasi schriftlich ihre Hilfe an. Sofort starten die Greifer den operativen Vorgang »Lump« – den Plan zur »Zurückführung des Republikflüchtigen«, Jargon: »Die Ziehung«. Einen mit Schreibmaschine getippten dreiseitigen Bericht der Tochter über den abgängigen Vater quittiert samt Nachtrag Abteilungsleiter Albert Schubert für die Bezirksverwaltung Schwerin: »Erhalten: 26. November 1954«. Der 31-Jährige ist zudem »Stellvertreter Operativ«. Im Beförderungsvorschlag für den Hauptmann lobt ein Oberst Müller anno 55 vielsagend, Schubert habe erst kürzlich »wieder eine äußerst schwierige Werbung durchgeführt, die eine große Perspektive für die Sicherungsorgane gibt«. Brigitte Cullmanns Post berührt auch die Situation ihres ersten Mannes, Leutnant der »Kasernierten Volkspolizei Luft«. Seit ihr Papa rübermachte, fürchtet sie um die Karriere des Gatten. Gitti erhält im Haus Mielke zunächst das Kürzel »Cu«, später den Decknamen »Honett« mit Zusatz »IME«, Informeller Mitarbeiter für einen besonderen Einsatz; Archivmappe 10381/79, Aufdruck: »Gesperrte Ablage«.
    »Honett« bedeutet »anständig, ehrenhaft, rechtschaffen«. Das klingt wie Hohn angesichts der Rolle, die der Lockvogel spielt. Der heimlich-unheimliche Regisseur Schubert verkehrt mit der Dame unter dem Alias »Schwartz«, porträtiert sie präzise für streng vertrauliche Dossiers: »Ihre politische Standhaftigkeit und tiefe Überzeugung von der Richtigkeit ihres Auftrages wurde unter anderem dadurch charakterisiert, dass ihr sowohl die Gefährlichkeit ihrer Aufgabe als auch die Tatsache bewusst war, dass der mit ihrer Hilfe zur Strecke zu bringende Feind mit der Todesstrafe zu rechnen hatte.« Der
Feind
war niemand anderes als ihr eigener Vater.
    Zusammen mit dem Schlosser Heinz H. und dem AngestelltenJoachim T. bildete die Honett zu »Lumps« Nachteil ein Trio Infernal. Die Zyniker vom
Dienst
sprachen von »operativer Kombination«. Die Männer, kurz darauf Nummer 2878.55 und 2881.55 im Gefängnis Moabit, verurteilte die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin (West) am 7. Oktober 55 zu zwölf beziehungsweise zehn Jahren Zuchthaus. Der Schuldspruch wegen »gemeinschaftlicher Verschleppung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher schwerer Freiheitsberaubung« wurde am 4. Mai 56 durch Bundesgerichtshof-Entscheid rechtskräftig. Friseuse Gitti drehte wieder für die Schweriner Produktionsgenossenschaft des Handwerks, PGH, Locken, umhegte die Tochter: eine brave Hausfrau. Ihr Vater hatte noch zwölf Tage zu leben.
    Die Geständigen H. und T. kannten sich vom Rummelplatz. Ersterer, knapp 25, führte im Milieu den Namen »Wagner«. Für die Medien ein »Berufsverbrecher«. Die Stasi gewann ihn in einer HO-Kneipe beim Berliner Alexanderplatz. Der Vorbestrafte besaß keinen Führerschein, zog deshalb den unbescholtenen Kumpel mit in die Sache.
    Für Horch & Guck drehten federführend »Peter«, dessen Vorgesetzter und als Wortführer der »Schweriner« an dem großen Ding. Der Auftrag hieß: den Abgehauenen »unter allen Umständen« zurückbringen. An der Aktion werde sich »eine junge Frau von uns« beteiligen, vorgestellt als »Tochter des zu entführenden Mannes«. Da sie verheiratet sei, dürften die beiden unterwegs keine Dummheiten mit ihr machen. Mitte Juli lernten sie auf »Peters« Veranlassung die »gewisse Brigitte Cullmann im Friedrichshain« kennen.
    Sofern die Tochter, wie telegraphisch avisiert, 10.03 Uhr in Dieburg ausstieg, passte dazu bestens der Nachtzug vom Berliner Ostbahnhof, Abfahrt 19.09 Uhr. Der D 2 fuhr Leipzig, Bebra,Frankfurt: Ankunft
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