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Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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blickten diese kalten Augen direkt in
seine Seele.
»Singh!«, keuchte Mike.
    Singh machte tatsächlich einen halben Schritt in seine
Richtung, blieb dann aber wieder stehen. Seine Hände zitterten
und in seinen Augen flackerte die nackte Panik.
    Der Wächter starrte Mike noch eine weitere Sekunde lang an,
dann drehte er sich schwerfällig herum und tat ein paar
Schritte zur Seite. Mike stemmte sich mühsam auf Hände und
Knie hoch, biss die Zähne zusammen und versuchte
aufzustehen. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen,
aber wenigstens schien sein Bein nicht gebrochen zu sein.
Stöhnend humpelte er auf Serena zu und beugte sich über sie.
    »Serena! Was ist mit dir?«, fragte Mike. »Was hat er dir
angetan?!«
Serena hob langsam den Kopf. Ein Ausdruck vollkommener
Hilflosigkeit lag auf ihrem Gesicht. Ihr Blick
flackerte.
Umständlich setzte sie sich ganz auf, ließ ihren Blick einmal
durch den Salon schweifen und sah dann wieder Mike an.
»Mike?«, murmelte sie. »Was ... ist passiert?«
Es dauerte noch eine geschlagene Sekunde, bis Mike
überhaupt begriff, was diese Frage bedeutete. Serena
hatte
seinen Namen ausgesprochen. Sie erinnerte sich!
Mike wandte ungläubig den Blick und sah, wie sich
der
Wächter nun auf Juan zubewegte und die Hände nach ihm
ausstreckte, um ihn auf dieselbe Weise zu berühren wie
Serena. Juan wich weder vor ihm zurück noch zeigte er das
geringste Anzeichen von Furcht. Er wusste, dass ihm das
Geschöpf nichts zu Leide tun würde.
Ganz im Gegenteil ...
Mike wandte sich wieder zu Serena um. Sie wirkte
noch
immer verstört und bis ins Mark erschrocken. Aber die
furchtbare Leere war aus ihren Augen verschwunden. Der
Wächter hatte den Bann gebrochen, den Argos’ Magie über sie
geworfen hatte. Ihre Erinnerungen und ihr freier Wille waren
wieder da!
Mike fuhr herum. Juan war zu Boden gesunken und blickte
ebenso verwirrt in die Runde. Auch seine Erinnerung war wieder
da!
Nacheinander ging der Wächter nun auch zu Chris und Ben
und berührte sie auf dieselbe Weise. Dann wandte er sich um
und sah Singh an. Der Inder keuchte vor Schrecken und prallte
zurück. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck nackter
Panik.
»Keine Angst!«, sagte Mike. »Er tut dir nichts, Singh!«
»Das ist nicht Singh«, sagte Serena leise.
Mike erstarrte. Singh wich weiter vor dem Wächter zurück,
bis er gegen das Pult stieß, hinter dem Trautman stand. Der
Wächter machte noch einen Schritt in seine Richtung und blieb
stehen. Seine riesigen Hände öffneten und schlossen sich, als
wollte er etwas packen und zerquetschen.
»Was ... hast du gesagt?«, murmelte Mike.
»Das ist nicht Singh«, sagte Serena noch einmal.
»Singh
war mit mir zusammen in Argos’ Kerker. Die ganze Zeit.
Ebenso wie Trautman.«
Mike war wie vor den Kopf geschlagen. Ungläubig sah er Singh
an, dann Trautman und dann wieder Singh.
Und dann geschah etwas durch und durch Unheimliches:
Zuerst Singhs, dann Trautmans und schließlich auch Sarns
Gesichter begannen zu verschwimmen. Ihre Züge lösten sich auf
wie Spiegelungen auf klarem Wasser, in das jemand einen Stein
geworfen hatte. Als sie sich wieder neu bildeten, hatten sie sich
total verändert. Vor Mike standen nun nicht mehr Singh,
Trautman und der abtrünnige Krieger, sondern Argos, Vargan
und Tarras, die drei Lemurer, die die NAUTILUS seinerzeit
gekapert und hierher gebracht hatten.
Waaaaas?!! kreischte Astaroths Stimme in seinen Gedanken. Aber das ist doch unmöglich! Wie konnte er –
»Dich so täuschen?«, fiel ihm Mike laut ins Wort. »Mach dir
keine Vorwürfe, Astaroth. Er hat uns alle getäuscht, nicht nur
dich.«
»Das war leicht«, sagte Argos abfällig. »Ihr seid dumm. Ihr
seht nur das, was ihr zu sehen erwartet.«
Und plötzlich wurde Mike alles klar; so klar, dass er
sich
fragte, wie um alles in der Welt er auch nur eine Sekunde darauf
hatte hereinfallen können. Singhs sonderbares Verhalten, das so
gar nicht zu dem Singh passte, den er gekannt hatte. Die
überraschende Leichtigkeit, mit der es ihnen gelungen war, sich
quer durch die Stadt und an Bord der NAUTILUS zu schleichen.
Die Mühelosigkeit, mit der es Sarns angeblichen
Rebellen
gelungen war, die Krieger an Bord des Schiffes zu überwältigen.
Und noch mehr ...
»Wozu das alles, Argos?«, fragte er leise mit bebender Stimme.
»Die ... die Männer im Bergwerk. Die Krieger in der Stadt und ...
und die Leute an Bord der Jagdschiffe! Du ... du hast deine
eigenen Leute umgebracht!
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