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Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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saßen zusammengekauert in einer Ecke
und starrten mit leerem Blick vor sich hin. Astaroth saß
zwischen ihnen und putzte sich, als wäre es das
Selbstverständlichste von der Welt.
»Astaroth?«, fragte Mike. »Warum antwortest du nicht?«
Astaroth antwortete auch jetzt nicht, er reagierte
nicht
einmal auf seine Stimme, sondern fuhr fort, sich in aller
Seelenruhe auf Katzenart zu putzen. Mike sah ihn noch eine
Sekunde lang verwirrt an, dann war er mit einem Schritt bei
ihm, ließ sich in die Hocke sinken und drehte den Kater fast
gewaltsam herum.
Astaroth fauchte, bleckte warnend die Zähne und schlug mit
der Pfote nach ihm. Mike zog die Hand erschrocken zurück, aber
nicht schnell genug – auf seinem Handrücken blieb ein langer,
blutiger Kratzer zurück.
»Bist du verrückt geworden?«, ächzte Mike. »Astaroth, was
ist denn in dich gefahren?« Astaroth fauchte noch einmal,
entfernte sich rückwärts gehend noch ein Stück weit von ihm
und fuhr dann herum, um schnell wie der Blitz aus dem Raum
zu fliehen. Mike sah ihm erschrocken nach.
Als er sich wieder aufrichtete, raschelte es unter seinen
Füßen. Überrascht sah er an sich herab und bemerkte, dass er
auf eines der Paketstücke getreten
war – den Sack, den er
selbst hereingebracht hatte. Eigentlich ohne selbst genau zu
wissen, warum, ließ er sich noch einmal in die Hocke sinken und
öffnete den Sack.
Er enthielt nichts außer eingetrockneten, braunen
und
grünen Blättern. Blätter einer ganz bestimmten Art, die Mike
schon einmal gesehen hatte ...
Und dann wusste er auch, wo.
»Der Kristallwald«, murmelte er. Blätter wie diese waren auf
den Bäumen in dem kleinen Hain gewachsen, in dem sie auf
Sarn gewartet hatten. Demselben Wald, in dem Astaroth das
erste Mal so sonderbar reagiert hatte, ohne sich hinterher auch
nur daran erinnern zu können.
Mike dachte einen Moment angestrengt nach, dann
winkte
er einen der Männer zu sich herein. »Du da!«, sagte er. »Der
Kristallwald! Was weißt du darüber?«
»Der Kristallwald?« Der Mann sah ihn fragend an.
»Was
soll damit sein? Wieso fragst du?«
»Ich will nur wissen, warum er diesen Namen hat«, sagte
Mike. »Ich habe dort keine Kristalle gesehen.«
»Darüber weiß ich nichts«, antwortete der Mann. »Ich war
niemals dort.«
In einer Welt, die so klein wie Lemura ist, ist dies im Grunde
nicht vorstellbar, dachte Mike. Aber er verzichtete darauf,
dem Mann eine entsprechende Frage zu stellen. Er spürte ganz
deutlich, dass er diese Frage nicht beantworten wollte. Aber
warum?
»Es sind die Blätter«, sagte Juan plötzlich. »Sie enthalten die
Kristalle. Sie wachsen darin.«
Mike starrte Juan einen Moment lang verwirrt an, dann
betrachtete er die vertrockneten Blätter noch einmal genauer.
Als er sie mit spitzen Fingern auseinander zupfte, rieselten
unzählige winzige, schimmernde Kristallsplitter zu Boden,
keiner davon größer als ein Stecknadelkopf.
»Woher weißt du das?«, fragte er verblüfft. »Wir mussten die
Blätter ernten«, sagte Juan, »bevor wir in die Eisengruben
kamen. Es ist gefährlich.«
»Gefährlich?«
»Man bekommt schlechte Träume, wenn man zu lange in ihrer
Nähe ist«, sagte Juan. »Manche sind gestorben.«
Mike ließ das Blatt behutsam wieder zu Boden sinken, rieb sich
sorgfältig die Kristallsplitter von den Händen und stand auf.
Auf eine entsprechende Geste hin erhoben sich auch Ben und
die anderen und verließen die Kammer. Mike folgte ihnen, blieb
dann aber noch einmal stehen und sah auf den prall gefüllten
Sack hinab. Kristalle, die schlechte Träume bringen ...
»Was habt ihr damit gemacht?«, fragte er. »Wofür sind diese
Kristalle gut?«
»Ich weiß es nicht, Herr«, antwortete Juan. »Die Krieger haben
sie abgeholt und in den Palast gebracht.«
Plötzlich hatte Mike das Gefühl, der Lösung aller Fragen so
nahe zu sein wie nie zuvor. Irgendetwas stimmte nicht, nicht nur
mit Astaroth und seinen Freunden, sondern mit dieser ganzen Situation. Und er wusste einfach, dass er alle Teile der Antwort
bereits besaß und nur nicht in der Lage war, sie in die richtige
Reihenfolge zu sortieren.
Doch er kam auch diesmal nicht dazu, den Gedanken zu Ende
zu verfolgen. In dem Gang hinter ihm entstand Aufregung,
dann gellte ein Chor entsetzter Schreie durch das Schiff.
Verwirrt und vollkommen ratlos drehte sich Mike herum –
Und erstarrte vor Entsetzen.
Nur ein Dutzend Schritte entfernt hatte sich die Tür
der
Tauchkammer geöffnet und eine riesenhafte, graue
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