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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume
Autoren: David Whitley
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aber einmal glaubte sie, dass Greaves jemanden mit »Mylord« ansprach.
    Sobald die Schritte verklungen waren, machte der Inspektor die Tür wieder auf.
    »Tut mir schrecklich leid«, sagte er, als Lily zurück auf den Flur trat.
    »Was sollte das?«, fragte Lily.
    Zuerst sah es so aus, als wollte der Inspektor nicht antworten. Dann seufzte er. »Ihre Anwesenheit hier könnte einige … Schwierigkeiten verursachen, wenn sie weithin bekannt würde.«
    »Wenn der Direktor es doch aber gestattet hat …?«, begann Lily, aber der Inspektor wehrte ihre Fragen mit erhobener Hand ab.
    »Nicht alle hier teilen die Ansicht des Direktors, was Sie angeht, Miss Lilith. Wenn diese Personen Sie hier sehen würden …« Der Inspektor blickte sie direkt an. »Ich wurde angewiesen, Ihre Sicherheit zu gewährleisten. Schon einmal hätte ich fast versagt. Ich habe nicht vor, mir noch einen Fehler zu erlauben.« Er schaute wieder in den langen Korridor. »Wir sind fast da. Wollen wir weitergehen?«
    Lily nickte nur. Was sie soeben gehört hatte, verschlug ihr die Sprache.
    Ab und zu kamen sie an einer offenen Tür vorbei, hinter der Lily einen Blick in eine riesige Halle werfen konnte, einen gewaltigen Saal, der vom Geräusch kratzender Schreibfedern erfüllt war. Vielleicht eine Bibliothek?
    Lily blickte den Inspektor verwirrt an. Das Laternenlicht vertiefte die Sorgenfalten in seinem zerklüfteten Gesicht.
    »Alles in Ordnung, Miss Lilith?«, fragte er. Es klang so, als meinte er es ehrlich.
    »Ja, natürlich«, erwiderte Lily. Die richtige Antwort hätte zu lange gebraucht, aber während die Flure jetzt wieder prächtiger wurden und lange Reihen großformatiger Gemälde die Wände säumten, konnte sie nicht recht sagen, ob die Anspannung, die sich in ihr ausbreitete, eher von Angst oder Aufregung, Neugier oder Ehrfurcht herrührte. Hier im Dämmerlicht erwartete sie fast, das legendäre Buch zu sehen, auf dessen Seiten es nur eines Federstrichs bedurfte, um einen Menschen seiner Existenz zu berauben. In einem Gebäude, um das sich so viele Legenden rankten, schien alles möglich zu sein.
    Dann blieben sie in einem anonymen Korridor vor einer ganz gewöhnlichen Tür stehen. Greaves klopfte an. Die Tür öffnete sich.
    Dort stand eine Frau, eingerahmt vom Licht der Lampen aus dem dahinterliegenden Zimmer. Eine Frau, deren Haut so dunkel war wie die von Lily.
    »Miss Verity, das ist Miss Lilith«, sagte Greaves. »Miss Lilith, darf ich Ihnen Miss Verity vorstellen, die persönliche Sekretärin des Direktors.«
    Miss Verity streckte die Hand aus. »Nennen Sie mich doch bitte Rita«, sagte die Frau mit einer Stimme, die sich darum bemühte, herzlich zu sein. Wäre der Händedruck der Frau nicht so unbeholfen gewesen, hätte Lily ihr die Freundlichkeit fast abgenommen.
    »Lily«, sagte sie im Gegenzug. Sie spürte, wie sich die Hand in ihrer ein wenig entspannte.
    »Der Direktor empfängt sie zur zwölften Stunde. Kommen Sie herein.«
    Neugierig betrat Lily Miss Verity Büro. Ihr fielen die Kaffeetassen auf, die sich, teilweise angeschlagen, aber sauber, auf einem alten Schreibtisch drängten. Sie sah die Ebenholztür mit dem vom Gebrauch glänzenden Messingknauf auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Sie sah die Stapel an Unterlagen, die in einem ansonsten makellos aufgeräumten Zimmer noch zu ordnen waren. Aus irgendeinem Grund wusste Lily, dass es die Arbeit des heutigen Tages war, und nur die von heute, die unerledigt liegengeblieben war.
    Miss Verity und Greaves unterhielten sich kurz und mit gedämpften Stimmen an der Tür, durch die sie hereingekommen waren. Lily hörte nur, dass Rita sich für die Eskorte bedankte, dann verneigte sich Greaves, trat hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Miss Verity ging hinüber zu einer Kanne.
    »Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte sie. »Oder vielleicht einen Tee … Ich glaube, ich habe welchen hier.«
    »Nein danke, sehr freundlich von Ihnen«, antwortete Lily höflich.
    Miss Verity spielte mit einer schwarzen Haarsträhne, die sich aus dem strengen Zopf gelöst hatte. Ihr Blick wanderte zu einem Holzstuhl in der Ecke.
    »Bitte, setzen Sie sich«, sagte sie eilig. »Oder hätten Sie Heber einen anderen Stuhl …?«
    »Nein danke, alles bestens«, beruhigte sie Lily. »Ich stehe lieber.«
    Miss Verity nickte zerstreut und fing an, ein paar Unterlagen auf ihrem Schreibtisch aufzuräumen. Irgendetwas an der Sekretärin beunruhigte Lily. Sie sah zu, wie die Frau in ihrem Büro hin und
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