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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume
Autoren: David Whitley
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draußen zu zeigen.«
    Mark sah sie verdutzt an. »Danke«, sagte er und wusste sofort, dass das nicht genug war.
    Verity wandte sich ab. »Dafür müssen Sie Miss Lily danken.«
    Danach bekam Mark kaum noch mit, wohin er ging. In seinem Kopf überschlugen sich Bilder der Zukunft. Visionen davon, wie er ein neues Geschäft aufzog, sich einen ganz neuen Turm bauen ließ, viel besser als der alte, den Snutworth ihm gestohlen hatte. Er dachte daran, dass er seinen Vater zu sich holen würde. Vielleicht würde er sogar ein Förderer des Almosenhauses werden. Wenn Lily ihm eine zweite Chance gegeben hatte, würde er es ihr vergelten, selbst wenn sie es nicht wollte. So machte man das in Agora. Jetzt endlich, dachte Mark, als sie sich einer uralten Holztür näherten, sah er eine Zukunft vor sich, die zu ihm passte.
    Verity blieb vor der Tür stehen und zog einen weiteren Schlüssel aus ihrer Tasche, einen großen, sehr alten und mit Rostflecken überzogenen Schlüssel. Sie steckte ihn ins Schloss, dann hielt sie kurz inne, drehte sich zu Mark um und fragte ihn mit leiser, aber eindringlicher Stimme: »Sind Sie dankbar, Mark?«
    Mark nickte eifrig. »Aber natürlich … Tut mir leid, es kommt alles so plötzlich, ich hätte schon längst gesagt …«
    »Mir gegenüber?«, fragte sie im selben Tonfall. »Und auch Lily gegenüber?«
    »Ja«, antwortete Mark, der sah, wie sich Miss Verity Finger fester um den Schlüssel spannten. Das alte Schloss ließ ein knarrendes Quietschen ertönen, als es sich drehte.
    »Dann versprechen Sie mir eines«, sagte die Frau, packte ihn an dem ehemals so feinen Hemd und zog sein Gesicht dicht vor das ihre. »Versprechen Sie mir, dass Sie auf sie aufpassen.«
    Mark lachte unwillkürlich. »Lily musste noch nie vor irgendetwas beschützt werden«, erwiderte er.
    Miss Verity Griff wurde fester. »Genau deshalb ist es so gefährlich«, flüsterte sie. »Jetzt versprechen Sie es mir.«
    Mark sah ihr in die Augen, die besorgt, aber voll eiserner Entschlossenheit im Licht der Laterne schimmerten.
    »Ich verspreche es«, sagte Mark.
    Offensichtlich zufrieden mit seiner Antwort, trat Miss Verity zur Seite. »Gut«, sagte sie und öffnete die Tür.
    Im ersten Moment war Mark völlig geblendet. Das Licht eines winterlichen Sonnenaufgangs flutete durch die Tür. Er hob die Hände, um sich vor den gleißenden Sonnenstrahlen zu schützen, und machte ein paar Schritte.
    Er spürte, wie Verity ihm einen kleinen Schubs gab. Er stolperte durch die Tür nach draußen.
    Scharniere knarrten. Dann ein metallisches Knacken.
    Dann wieder das Geräusch des Schlüssels, der sich erneut im Schloss drehte.
     
    Mark fuhr erschrocken herum und sah die kleine, unauffällig in die Mauer eingefügte Tür vor sich.
    Eine gewaltige Mauer, höher und breiter, als er jemals eine gesehen hatte. Mit Ausnahme der Stadtmauer natürlich.
    Die Stadtmauer …
    Mark trommelte gegen die Tür, bohrte die Fingernägel in das raue Holz. Er hörte sich rufen, dass alles, was er besaß, sich in dieser Stadt befinde, dass er jetzt endlich wisse, wie alles funktionierte, dass seine Zukunft in diesen Mauern eingeschlossen sei.
    Von drinnen kam keine Antwort. Er sank auf die Knie, kauerte sich mit rauen und blutigen Fingern vor der Tür zusammen. Hinter sich spürte er eine unendliche Leere. Ein Windstoß ließ ihn fröstelnd zusammenfahren. Hinter den Stadtmauern war nichts, überhaupt nichts.
    Agora war die Welt. Er hatte sie verlassen, so endgültig, als wäre er tot umgefallen.
    Da tauchte neben ihm an der Mauer ein Schatten auf. Er presste die Hände gegen die Tür, schloss die Augen, wollte nichts sehen. Und dann vernahm er eine bekannte Stimme.
    »Es war die einzige Möglichkeit, Mark«, sagte Lily sanft, »der einzige Weg, der uns beide aus unseren Gefängnissen herausführte. Es gibt so viel, was du erfahren musst, Mark … Ich muss dir so vieles sagen …«
    Mark antwortete nicht, sondern strich nur apathisch mit den Fingern über das Holz der Tür nach Agora.
    »Sieh dich um, Mark«, sagte Lily. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter. »Sieh dir das alles an. Eine neue Welt, Mark, ein neues Leben!« Er hörte, wie sie sich neben ihn kniete. »Sie ist wunderschön.«
    Verstört, verwirrt und so ängstlich wie an dem Tag, als er im Turm des Sterndeuters wieder zum Leben erwacht war, drehte Mark sich langsam um.
    Dann öffnete er die Augen.
     
     
     
     

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