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Die Stadt der Engel

Die Stadt der Engel

Titel: Die Stadt der Engel
Autoren: Will Berthold
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aber Dany drehte sich um und schlief sofort wieder ein.
    Auch darauf war eine tüchtige Journalistin trainiert.
    Der Wintertag jagte die Passanten auf den Straßen durch ein Wechselbad. Alle litten unter dem Wetter. Einem verregneten Sommer war ein trostloser Herbst gefolgt, und der Winter hatte sich auch nicht besser angelassen: Graupelschauer, Nebelfetzen, Glatteis, Temperaturstürze, Regengüsse, Aufhellungen und Schneestürme lösten einander ab. Das Klima wurde zum Trauma, das Schlechtwetter zu einer europäischen Landplage.
    Ferry Fenrich, der bekannte Architekt, durchlebte zur Zeit nicht nur ein meteorologisches Tief. Das Projekt eines riesigen Freizeitzentrums am Stadtrand von München, an dem er mit seinen Mitarbeitern ein halbes Jahr lang gearbeitet hatte, war plötzlich geplatzt. Trotz starker Konjunktur-Belebung marschierte seine Branche so ziemlich am Ende. Die Plakate mit der Aufschrift: SEI SCHLAU GEH' ZUM BAU waren längst aus dem Straßenbild verschwunden. Auch ein Mann vom Range Fenrichs bekam die Flaute zu spüren: Zwei Großkunden, die bei ihm tief in der Kreide standen, drohte die Pleite. Nach einer vorgezogenen Steuerprüfung bestand das Finanzamt auf einer Nachzahlung von über 500.000 Mark. Wenn es nicht gelang, von dieser Horrorsumme herunterzukommen, geriete die expansive Architekten-Gemeinschaft FENRICH & PARTNER erstmals in die roten Zahlen.
    An der Art, wie er an seiner Zigarettenattrappe herumkaute – Fenrich war seit vier Monaten Nichtraucher –, erkannte Annabelle, die perfekte Chefassistentin sofort, daß seine Laune auf Sturm stand. Sonst salopp und sportiv, wirkte der neuzeitliche Wikinger mit den graublauen Augen und den mittelblonden Haaren heute verbissen und zerknittert. Er sah seine engste Mitarbeiterin an und rang sich ein Lächeln ab. »Sie sind der erste Lichtblick an diesem trüben Tag, Annabelle«, begrüßte er sie.
    »Warten Sie's ab, Herr Fenrich!« erwiderte die kühlblonde, streng-elegante Dreißigerin. »Haben Sie heute Nacht Ihren Wagen in der Nähe des Promenadeplatzes stehen lassen?«
    »Natürlich, ich bin mit dem Taxi nach Hause gefahren.«
    »Die Polizei hat Ihren Wagen abgeschleppt. Mit Tagesbeginn stand er im Halteverbot.«
    »Idiotisch!« schimpfte der Architekt. »Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Frau Renz. Sie wissen ja, Annabelle, daß ich eigentlich nur trinke, wenn ich mich freue oder ärgere. Und was sollte ich tun?«
    »Nicht trinken«, erwiderte der sprechende Eisberg. »Und sich vielleicht auch nicht mit Frau Renz anlegen.«
    »Sie Blaukreuzlerin!« fuhr er sie an und lächelte schräg. Der Zwischenfall mit Clarissa war natürlich weit schlimmer gewesen als eine übliche Kontroverse, und der Architekt konnte nur hoffen, daß die Teilnehmer dichthielten und ihn nicht an einen Klatschkolumnisten verkauften.
    »Sind Sie bereit, sich einem ernsthafteren Thema zu stellen?« fragte Annabelle und kam gleich zur Sache. »Ich hatte gestern ein langes Gespräch mit Doktor Schreiber. Er sagt, daß er die Schlußbesprechung mit dem Steuerprüfer auf keinen Fall länger hinausschieben kann.«
    »Na und?«
    »Unser Steuerberater meint, er könnte die Nachforderung vielleicht auf die Hälfte herabdrücken, wenn FENRICH & PARTNER bereit wären, sofort 250.000 Mark zu entrichten.«
    »Und woher soll ich die nehmen?«
    Die Chefassistentin wußte und gab keine Antwort.
    »Und wie kommt das Finanzamt überhaupt auf eine solche Wahnsinnssumme?« fragte der Architekt gereizt.
    »Abschreibungen, Rückstellungen und Unkosten, die nicht anerkannt werden.« Schadenfroh setzte Annabelle hinzu: »Zum Beispiel Ihr Dezember-Ausflug nach St. Moritz.«
    »Das war eine geschäftliche Besprechung mit einem Kunden.«
    »Die dann zu nichts geführt hat. Außerdem, so behauptet der Steuerprüfer, hätten Sie die Unkosten für eine private Begleiterin geltend gemacht.«
    »Lieber Gott, ich bin doch kein Mönch! Schnüffelt das Finanzamt jetzt auch noch im Schlafzimmer herum?«
    »Wenn Sie es steuerlich nutzen, schon«, entgegnete Annabelle trocken. »Vor allem, wenn es häufiger geschieht, wie in Paris, Nizza, Kopenhagen und …«
    »Lassen Sie diese Anspielungen, Annabelle!« erwiderte Fenrich gereizt.
    »Doktor Schreiber rät dringend zu einem Vergleich. Wenn es zu einem Prozeß käme, hätten wir seiner Meinung nach höchstens dreißig Prozent Chancen durchzukommen.«
    »Ich will mir's überlegen«, antwortete Fenrich verdrossen.
    Sonst eher lebenslustig, wirkte der
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