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Die Stadt der Engel

Die Stadt der Engel

Titel: Die Stadt der Engel
Autoren: Will Berthold
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ramponierte Wikinger heute halbwegs vergrämt. Seine 42 Lebensjahre spürte er auf einmal wie Trimmgewichte, wies es aber weit von sich, daß sich die Krise der mittleren Jahre andeuten könnte. Er spürte, wie ihm die Zeit durch die Finger rann wie feiner Flugsand; die Tage verstrichen, addierten sich zu Wochen, Monaten und Jahren. Oft arbeitete der Erfolgsmensch 16 Stunden täglich, häufig auch am Wochenende. Geschäftliche Probleme kosteten die Nachtruhe. Und zwischendurch ein schnelles Vergnügen, das sich dann – rückwirkend gesehen – als Flop erwies. Aber nicht nur durch seine Affären war Fenrich Stammgast in den Klatschspalten der Boulevard-Presse; er hatte sich durch Preise für hervorragende Entwürfe und für wohnliches Bauen einen Namen gemacht, bereits zu einem Zeitpunkt, als andere Architekten noch die Städte zuzementierten.
    Der Erfolg befriedigte ihn, aber jeden Tag wurde er schließlich 24 Stunden älter. Er schuftete rastlos in der Tretmühle, aber außer ein paar Auszeichnungen blieben ihm nicht viel mehr als eine Steuernachzahlung und der beträchtliche Monatswechsel an seine Geschiedene. Abführungen an das Finanzamt mußte er durch Neueinnahmen finanzieren, woraus sich dann wieder weitere Steuerverpflichtungen ergaben. Die Katze biß sich in den Schwanz. Alltag zwischen Streß und Stuß. Auch wenn sich der Stararchitekt an den Hut stecken konnte, daß er zwei Partner und 27 Mitarbeiter durch die Flaute brachte, alles hochbezahlte Leute, da er nur Könner beschäftigte.
    Annabelle, die kühle Unglücksfee, war wieder eingetreten. »Verfügt Ihre geschiedene Gattin noch über eine Kreditkarte?« fragte sie perfide.
    »Was weiß ich?« brummelte der Architekt.
    »Das sollten Sie aber wissen«, wies ihn seine Assistentin zurecht, die genausogut wie er wußte, wie unentbehrlich sie für die Firma war. »Hier kommt eine Rechnung aus der Karibik per AMERICAN EXPRESS, fast 8.000 Mark.«
    Er starrte die Belege an. »Das sieht ihr ähnlich«, schimpfte er. »Jutta muß noch eine Familienkarte haben. Lassen Sie sie sofort sperren, Annabelle!«
    »Schon geschehen«, erwiderte die Perfekte.
    »Teilen Sie ihrem Anwalt mit, daß ich den Betrag von den Alimenten abziehen werde. Oder haben Sie das auch schon erledigt?«
    »Das nicht, Herr Fenrich«, antwortete die Unersetzliche. »Aber daran gedacht.«
    Jutta in der Karibik und er im Büro. Seine Geschiedene auf Vergnügungsreise und er ihr Finanzier. Jedem das Seine, und das nach einem kinderlosen Ehe-Desaster von nur drei Jahren. Das also war die Lastenverteilung: der Mann ist der Dumme, der Mäzen und der sexuelle Umweltverschmutzer. Und am Ende kam noch der Abzug von sieben Jahren Lebenserwartung.
    »Hören Sie, Annabelle!« sagte er. »Ich habe das alles satt. Sie stellen ab sofort keine dieser Damen mehr zu mir durch. Gleichgültig, wer anruft.«
    »Und für wie lange soll diese Regelung gelten?« fragte sie.
    »Für immer«, versetzte er. »Lassen Sie sich überraschen, Annabelle!«
    Er stand auf, trat ans Fenster, sah blicklos auf die graue Straße mit ihren gehetzten Passanten. Gegenüber lag das kleine Reisebüro, mit dem er seit langem zusammenarbeitete. Er konnte verfolgen, wie Winterflüchtlinge auf dem Weg in die Sonne mit zufriedenen Gesichtern den Laden verließen, um nach Ceylon, auf die Malediven, nach Malaysia oder nach Mexiko zu fliegen. Der Dackel des Inhabers nutzte die offene Tür, um nach draußen zu kommen. Er schnupperte nach oben und zog sich bei diesem Hundewetter sofort wieder zu Frauchen zurück. Unvermittelt platzte eine grelle Wintersonne aus einem Wolkenriß, blendete den Architekten.
    Er schloß die Augen – und genau in diesem Moment wurden sie ihm geöffnet.
    Was hinderte ihn eigentlich daran, zu verschwinden, unterzutauchen wie Dr. Kimble auf der Flucht? Für ein paar Wochen wenigstens ans Ende der Welt fliegen, ganz allein, wo es nur Sonne, Sand und Meer und keine dieser schrecklichen Damen gab. An einen Ort, wo ihn keiner kannte und keiner suchte, die Postverbindung fraglich war und das Telefon möglichst nicht funktionierte.
    »Ich vertrete mir nur kurz die Beine!« rief er Annabelle zu und ging über die Straße. In der Tür des Reisebüros prallte er mit einer schicken jungen Frau zusammen.
    »Haben Sie die Dame erkannt?« fragte ihn Inhaber Rohregger aufgeregt.
    »Ich hab' nicht auf sie geachtet«, entgegnete der Architekt.
    »Dany Callway, die bekannte Journalistin von GLOBUS.« Der Reisemanager rückte
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