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Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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ablieferten, vereinbart. Ihre Ausschlachtung würde unter Berücksichtigung der Kosten für den Klinikbetrieb und den aufwendigen Transport der Organe einen Nettogewinn in sechsstelliger Höhe einbringen. Und das Risiko war überschaubar. Niemand würde die Menschen vermissen. Ihre Pässe würden ihnen noch während der Überfahrt abgenommen werden. Und in Deutschland waren sie nicht gemeldet.
    Die Stimme am anderen Ende klang heiser. Die Spaghettifresser waren noch verweichlichter als die Deutschen. Ständig jammerten sie über den kalten Winter. Milner informierte den Mann in knappen Worten, dass die Klinik ihren Betrieb im Oktober nächsten Jahres aufnehmen werde. Fünf bis sieben Organentnahmen pro Woche waren geplant. Es sei kein Problem, das Menschenmaterial zu beschaffen, bestätigte der andere. Der Strom von Afrikaflüchtlingen in Richtung Europa steige unaufhaltsam.
    Das Telefonat hatte Milners Stimmung verbessert. Sein Plan war genial. Das kommende Jahr würde ihn noch reicher machen. Dann ging er zurück zum Schreibtisch, entnahm ihm zwei Fünfhundert-Euro-Scheine. Die Kleine sollte sich etwas Nettes zum Anziehen kaufen. Gleich nach Weihnachten würde er sie zurückschicken. Doch vorher sollte die Kleine sich ihr Geld verdienen. Er ging zur Tür, die in das angrenzende Zimmer führte. Das Mädchen schlief, er weckte es unsanft.

83
H ANNOVER
    Hans Baumgart saß hinterm Schreibtisch im Arbeitszimmer seiner Villa in Kirchrode und strich sich über seine Beine. Sie waren schwer wie Blei. Auch seine Füße brannten wie Feuer. Er zog seine Schuhe aus, Erleichterung verschaffte es ihm nicht. Sieben Stunden war er unterwegs gewesen. Wie jedes Jahr Heiligabend hatte er bei der Buchhandlung in Kirchrode drei Kisten mit Kinderbüchern und CDs abgeholt, jedes einzelne Teil liebevoll ausgesucht und in Geschenkpapier verpackt.
    Danach hatte sein Fahrer ihn in das Kinderkrankenhaus an der Bult gefahren. Fünfzig kleine Patienten, die meisten schwer krank, hatten sie besucht, im Anschluss daran die Kinderstation in der Medizinischen Hochschule. Obwohl die Besuchstour anstrengend war, wollte er sie nicht missen. Die erwartungsvollen Augen der Kinder, die Freude, wenn sie die Geschenke auspackten, ihre unbefangene Dankbarkeit waren die Mühe wert. Manche Kinder waren zu schwach, um die mitgebrachten Pakete auszupacken. Der Krebs hatte ihre Körper zerstört. Wie unbarmherzig konnte das Leben sein. Was hatten diese Kinder getan, dass sie so früh von dieser Welt gehen mussten? Oder verhielt es sich ganz anders? Waren sie in Wirklichkeit glücklich dran, weil sie im Jenseits ein besseres Leben erwartete, als das Diesseits es ihnen zu bieten vermochte?
    Baumgart war ein gläubiger Mensch. Er war felsenfest überzeugt, dass es ein Leben nach dem Tod gab. In seine Gedanken hinein klingelte sein Handy. Beim Blick auf das Display wurde er ärgerlich. Konnte der ungehobelte Schurke ihn nicht einmal Weihnachten in Ruhe lassen? Hatten sie nicht erst gestern Abend miteinander telefoniert? Er lauschte den Worten seines Anrufers, gab die gewünschte Auskunft.
    Nach dem Telefonat fühlte er sich noch deprimierter als vorher. Was war das für eine beschissene Welt, die Sadisten wie Milner nach oben spülte? Aber vielleicht war es der Lauf der Welt und Verbrecher wie dieser Russe waren der Anfang vom Ende. Irgendwann, davon war er überzeugt, würde die Welt im Chaos versinken oder durch einen Meteoriteneinschlag mit einem riesigen Knall untergehen.
    Ihm graute vor dem Tag, an dem er vor dem Jüngsten Gericht erscheinen musste. Seine vielfältigen sozialen Engagements würden ihm zugutegehalten. Mit seinen Geschäften hingegen hatte er nicht wenige Menschen ins Unglück gestürzt. Noch hatte er die Chance, das grausame Klinikprojekt zu Fall zu bringen. Ohne ihn würde Milner um Jahre zurückgeworfen, müsste eine neue Immobilie suchen und einen anderen politischen Gewährsmann finden. Den jungen Männern, die jetzt irgendwo in Nordafrika auf die Überfahrt ins Gelobte Europa warteten, würde eine Schonfrist eingeräumt.
    In Momenten wie diesem glaubte er an der Scham, die er über sein eigenes Tun empfand, ersticken zu müssen. Doch da war die andere Seite in ihm. Sein Machtwille und sein Ehrgeiz waren stärker als sein Mitgefühl. Und Macht erlangte man in diesem Land über Geld. Außer man entschied sich für die Ochsentour durch die Parteiinstanzen. Dazu war er nicht bereit gewesen. Und inzwischen war er in der komfortablen Lage, sich
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