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Die Spur der Füchse

Die Spur der Füchse

Titel: Die Spur der Füchse
Autoren: Ken Follett
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Das mit dem Mädchen war schließlich eine ganz andere Sache. Aber redeten Dummköpfe sich nicht genau das ein, bevor sie sich in eine Affäre stürzten?
    Nur nichts übereilen, ermahnte er sich. Für das Mädchen war die vergangene Nacht vielleicht nur ein einmaliges Gastspiel gewesen. Und Tim konnte sich nicht vorstellen, als Liebhaber einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben. Dennoch wollte er das Mädchen fragen, ob es mit ihnen beiden weitergehen könne, und welche Möglichkeiten es da gab. In diesem Fall mußte er sich allerdings zuvor darüber klarwerden, was seine Ziele und Wünsche waren. Aber das war kein allzu großes Problem. Die Arbeit im Dienste der Regierung hatte Tim gelehrt, sich vor jedem wichtigen Gespräch gewissermaßen selbst einzuweisen.
    Wenn er sich mit komplizierten Sachverhalten auseinandersetzen mußte, hatte Tim eine bestimmte StandardVerfahrensweise entwickelt, und die wandte er jetzt an. Frage eins: Was habe ich zu verlieren?
    Julia. Schon wieder. Die pummelige, kluge, stets zufriedene Julia, deren geistiger Horizont jedoch mit jedem Jahr ihrer Mutterschaft unaufhaltsam geschrumpft war. Es hatte eine Zeit gegeben, da Tim seine Frau auf Händen trug: Er hatte ihr jedes Kleid gekauft, das ihr gefiel; er hatte Romane gelesen, weil Julia sich für Romane interessierte, und er hatte sich um so mehr über seine politischen Erfolge gefreut, wenn auch Julia sich darüber gefreut hatte.
    Doch nach und nach hatte der Schwerpunkt seines Lebens sich verlagert. Bald beherrschte Julia nur noch die unbedeutenden Dinge. Sie wollte in Hampshire wohnen, und weil es Tim im Grunde egal war, wohnten sie jetzt dort. Sie wollte, daß er karierte Jacken trug, doch der Westminster-Schick verlangte nüchtern-elegante Anzüge; deshalb trug Tim nun dunkle, kleinkarierte Anzüge in Grau und Tiefblau.
    Je länger er seine Gefühle analysierte, desto deutlicher erkannte er, daß nicht mehr allzu viele Bindungen zu Julia bestanden. Ein bißchen nostalgische Rührseligkeit, vielleicht, und ein verblassendes Bild von ihr waren geblieben: Julia mit ihrem Pferdeschwanz, wie sie in einem engen Kleid den Swing tanzte. War das Liebe? Tim hatte seine Zweifel.
    Und seine Töchter Katie, Penny und Adrienne? Quatsch; das war eine ganz andere Sache. Nur Katie war alt genug, um Begriffe wie Liebe und Ehe begreifen zu können. Und die Kinder bekamen ihren Vater ohnehin nicht allzu oft zu sehen, denn Tim war der Meinung, daß auch ein bißchen Vaterliebe eine große Hilfe sein konnte. Auf jeden Fall war es besser, als gar keinen Vater zu haben. In dieser Hinsicht gab es keine Diskussionen. Tims Meinung stand fest.
    Und dann war da noch seine Karriere. Eine Scheidung mochte einem Staatssekretär keinen großen Schaden zufügen, doch einen Mann in höherem Amt konnte eine Schei dung ins Verderben stürzen. Einen geschiedenen Premierminister hatte es noch nie gegeben, und genau auf diesen Job hatte Tim Fitzpeterson es abgesehen.
    Insofern hatte er sehr viel zu verlieren – im Grunde genommen alles, was ihm lieb und teuer war. Tim wandte den Blick vom Fenster ab und schaute zum Bett hinüber. Das Mädchen hatte sich auf die Seite gedreht, das Gesicht von Tim abgewandt. Der Kurzhaarschnitt stand ihr gut; dadurch kamen ihr schlanker Hals und die schön geformten Schultern besser zur Geltung. Ihre Haut war leicht gebräunt, der Rücken war gerade, die Taille schlank – und was darunter war, wurde zur Zeit vom zerwühlten Bettlaken verborgen.
    Es gibt noch so viel Unentdecktes, dachte Tim. »Vergnügen« war ein Wort, für das er in seinem bisherigen Leben wenig Verwendung gehabt hatte; jetzt aber drängte es sich machtvoll in seine Gedanken. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so richtig vergnügt hatte, falls überhaupt. Vergnügen? Nein. Zufriedenheit? Ja. Wenn er einen fundierten Bericht verfaßt hatte, zum Beispiel; oder wenn er in einer der ungezählten Schlachten in Parlamentsausschüssen oder im Unterhaus einen Sieg davongetragen hatte. Selbst ein gutes Buch oder ein edler Wein konnten ihm Zufriedenheit verschaffen. Aber das rein körperliche, lustvolle Vergnügen, das dieses Mädchen ihm beschert hatte, war etwas Neues für ihn.
    Tja, das waren also die Für und Wider. Tims StandardVerfahrensweise verlangte nun, sie gegeneinander abzuwägen, um festzustellen, welches das größere Gewicht besaß. Diesmal aber wollte es mit seiner bewährten Methode nicht so recht klappen. Einige von Tims
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