Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur der Füchse

Die Spur der Füchse

Titel: Die Spur der Füchse
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
fünfunddreißig Jahren das Gestell einer Brille ruhte. Der Mund war zwar nicht klein, aber ein bißchen verkniffen, die Ohren waren zu groß, und die Stirn intellektuell hoch.
    Ein Gesicht, in dem nichts zu lesen war, weil es nichts zu lesen gab. Ein Gesicht, das darauf trainiert war, Gedanken zu verbergen, statt Gefühle zu zeigen.
    Tim schaltete den Elektrorasierer an, zog eine Grimasse, um die gesamte linke Wange ins Blickfeld zu bekommen, und begann mit der Rasur.
    Häßlich war er nicht gerade. Manche Mädchen fuhren auf häßliche Männer ab, hatte er sich sagen lassen – ob derartige Verallgemeinerungen über Frauen zutrafen, konnte er aus Mangel an Erfahrung nicht beurteilen –, doch Tim Fitzpeterson paßte nicht einmal in diese zweifelhaft beneidenswerte Kategorie von Männern. Vielleicht war es an der Zeit, sich einmal wieder Gedanken darüber zu machen, zu welcher Kategorie er denn zählte.
    Der zweite Club, den sie am vergangenen Abend besucht hatten, gehörte zu jenen Etablissements, die Tim niemals freiwillig aufsuchen würde. Er war kein Musikliebhaber, und falls er einer gewesen wäre – eine Schallplatte mit diesem ohrenbetäubenden, rhythmisch stampfenden Lärm, der jede Unterhaltung wie ein Schwarzes Loch verschluckte, hätte er niemals in seine Plattensammlung aufgenommen. Dennoch hatte er zu der Musik getanzt – dieses ruckende, zuckende, exhibitionistische Gehüpfe, das in diesem Schuppen gang und gäbe zu sein schien. Es hatte Tim sogar Spaß gemacht, und vermutlich hatte er sich ganz wacker geschlagen; denn ihm waren keine mitleidigen oder erheiterten Blicke seitens der anderen Gäste aufgefallen, wie er befürchtet hatte. Vielleicht war es ihm erspart geblieben, weil viele Gäste in seinem Alter gewesen waren.

    Der Discjockey, ein bärtiger junger Mann in einem T-Shirt, auf das – ein für Tim unfaßbarer Fauxpas – die Worte »Harvard Business School« aufgedruckt waren, legte irgendwann eine sehr langsame Ballade auf, die offenbar von einem Amerikaner mit schleppendem Südstaatenakzent gesungen worden war, der sich eine schwere Erkältung zugezogen hatte. Tim und das Mädchen waren gerade auf der kleinen Tanzfläche gewesen, als die Musik einsetzte. Das Mädchen hatte sich an ihn geschmiegt und ihm die Arme um den Hals gelegt. Da hatte Tim gewußt, daß sie mit ihm ins Bett gehen wollte und daß er sich nun entscheiden mußte, ob auch er Lust hatte, mit ihr zu schlafen. Als er ihren kleinen, heißen Körper spürte, der wie ein nasses Handtuch an ihm hing, traf Tim diese Entscheidung sehr, sehr schnell. Er senkte den Kopf – das Mädchen war ein bißchen kleiner als er – und murmelte ihr ins Ohr: »Komm mit zu mir, ja? Wir trinken noch ‘nen Schluck in meiner Wohnung.«
    Im Taxi hatte er sie dann geküßt – so etwas herrlich Verderbtes hatte er seit vielen Jahren nicht mehr getan. Der Kuß war lüstern und gierig gewesen, wie der Kuß in einem schwülen Traum, und Tim hatte dabei die Brüste des Mädchens betatscht, die so wundervoll klein und fest unter dem dünnen Stoff ihres Kleides waren, und sie hatte an seinem Hosengürtel genestelt – und schließlich hatten beide sich kaum noch beherrschen können, bis sie in Tims Wohnung waren.
    Zu dem versprochenen Drink war es gar nicht erst gekommen. Wir müssen in weniger als einer Minute ausgezogen und im Bett gewesen sein, dachte Tim selbstgefällig, als er nun die Rasur beendete und nach dem Rasierwasser Ausschau hielt. Im Wandschrank stand noch eine alte Flasche, und er rieb sich die Wangen ein.
    Dann ging er zurück ins Schlafzimmer. Das Mädchen schlummerte immer noch friedlich. Tim nahm die Zigaret tenschachtel aus seiner Anzugjacke und setzte sich in einen Stuhl am Fenster. Ich war richtig klasse im Bett, dachte er, mußte sich dann aber widerwillig eingestehen, daß er sich selbst etwas vormachte: Das Mädchen war die Aktive gewesen, die Kreative. Nur ihrer Initiative war es zu verdanken gewesen, daß Tim im Bett Dinge getan hatte, die er sich mit Julia – selbst nach fünfzehn Ehejahren – nicht einmal hätte vorstellen können.
    Julia. Tim starrte blicklos aus dem Fenster der Wohnung im ersten Stock, schaute über die schmale Straße hinweg auf die roten Ziegelsteinmauern des Viktorianischen Schulgebäudes und seinem kläglichen Hof mit den verblassenden gelben Linien eines Korbballfeldes. Was Julia betraf, hatten Tims Gefühle sich nicht geändert: Falls er sie gestern geliebt hatte, liebte er sie heute noch immer.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher