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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage
Autoren: David Abbott
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vielleicht stehen wir ja noch.«
    Lachen, dann fuhr der Wagen fort.
    Gott sei Dank waren Henrys Tage mit Kundenbetreuung auf Firmenkosten vorbei. Ihm war die Rolle des Gastgebers immer unbehaglich gewesen, und nach dem Abend mit Basil Hume hatte er aufgehört, sie ausfüllen zu wollen.
    Der Kardinal war gebeten worden, bei einem formellen Dinner in einem Londoner Hotel zu sprechen. Henry hatte einen Tisch reserviert und eine Reihe von Kunden eingeladen. Es handelte sich um einen Dining Club nur für Männer mit einem simplen Verhaltenskodex: hundertprozentige Indiskretion drinnen, hundertprozentige Diskretion draußen. Die Gelegenheit, sich mal endlich gehen lassen zu können, hatte bereits viele illustre Redner zu den Clubabenden gelockt – sogar Premierminister –, und die Mitglieder bezogen daraus einen ganz besonderen Kick, wie Henry erkannt hatte: das Gefühl, zu den Eingeweihten zu gehören, direkt im Zentrum der Macht zu stehen.
    Als sich Kardinal Hume an jenem Abend erhob, um zu sprechen, der Raum war bereits grau vom Qualm unzähliger Zigarren, konnte niemand ahnen, dass er die wagemutigste Rede in der Geschichte des Clubs halten würde, verwegener als alles, was sie von Thatcher, Heath oder Murdoch je zu hören bekommen hatten.
    Hume hatte nicht viel gesagt. Was er sagte, brachte er mit der für ihn typischen Bescheidenheit vor. Er hatte sich für vielleicht zehn Minuten erhoben. Er mahnte sie, gut zu sein und Gutes zu tun. Er erinnerte sie daran, dass sie Führungspersonen waren und die Verantwortung für den Umgangston und das Verhalten in ihren Firmen trugen. Der Kardinal hatte würdevoll und gut gelaunt gesprochen, aber nicht versucht, sie zu unterhalten. Als er sich setzte, gab es nur gedämpft Applaus. Die Kunden an Henrys Tisch hatten kaum ihre Höflichkeit wahren können. Naiv, so das allgemeine Urteil.
    »Wenn ich eine Predigt hören will, dann gehe ich in die Kirche, nicht zu Claridge’s.«
    Allgemeine Zustimmung rings um den Tisch, Gäste klopften mit den Kaffeelöffeln an ihre Weingläser, um beizupflichten. Henry sagte nichts. Ihn hatte die Rede des Kardinals berührt, und er hatte dessen Mut bewundert. Eine Woche später war er, Arbeitsbelastung vorschützend, aus dem Club ausgetreten. Eine Geste ohne Bedeutung, denn seine Partner gingen auch weiterhin mit Kunden zu den Dinnerabenden, und Henrys Abwesenheit fiel nicht weiter auf.

    Zwei junge Frauen verließen Arm in Arm den Pub; als sie sich vorbeugten und davoneilen wollten, um dem Regen zu entfliehen, kamen sie mit ihren hohen Absätzen auf dem rutschigen Kopfsteinpflaster kaum zurecht. Sie erreichten den dunklen Wagen, blieben kurz stehen, um Atem zu schöpfen oder sich festzuhalten – was von beidem, konnte Henry nicht erkennen –, drückten ihre Brüste flach gegen die Scheiben und streckten die Arme über dem Dach aus. Sie feierten ihre Flucht.
    »Also, ich muss ihm zur Begrüßung ja nicht gleich die Zunge in den Hals stecken.«
    Henry ließ das Beifahrerfenster herunter, und plötzlich war der Wagen voll von Kurven und dem Geruch von nasser Wolle.
    »Was zum Teufel …?«
    Erschrocken entdeckten die beiden Frauen Henry auf dem Fahrersitz und machten sich lachend davon.
    Der leere Platz neben ihm machte Henry traurig, er startete den Wagen und fuhr nach Hause.
    Henry wohnte in einer Seitenstraße der Fulham Road in einem zweistöckigen Haus mit symmetrischer Fassade, welches der örtliche Makler ihm als »Landhaus in London« verkauft hatte. Das Haus war größer, als es den Anschein hatte, und in einem der drei Empfangszimmer war genug Platz, um sein Klavier an die Wand zu stellen. Henry hatte Klavierunterricht gehabt, bis er fünfzehn war, dann hatten die Hormone seine Energien in andere Richtungen gelenkt. Aber nach dem Tod seiner Eltern hatte er das Klavier haben wollen, und es war mit ihm von Wohnung zu Wohnung und von Haus zu Haus gezogen. Das Instrument war das einzige Erinnerungsstück, das er an seine Kindheit hatte, sein Klang war ein Traumpfad in seine Vergangenheit. Henry spielte spätnachts darauf – leisen, zögerlichen Jazz –, die Akkorde drangen kaum bis zur Decke.
    Seine Freunde hielten das Haus für ein wenig zu bescheiden angesichts seiner Geschäftserfolge, doch Henry und Nessa hatten es wegen des Gartens gekauft.
    Vor dem Haus hatten sie vier Stechpalmen gepflanzt, jede davon in einem rechteckigen Lavendelbeet, das von Bux umrandet war. In den Beeten unter den Fenstern bildeten Katzenminze und Frauenmantel
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