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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage
Autoren: David Abbott
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die Bodendecker für die schwarzen Tulpen im Frühling und die japanischen Anemonen im Herbst. Die gesamte Vorderseite des Hauses beherbergte eine prächtige, kletternde
Rosa banksiae
namens ›Lutea‹ mit kleinen, runden Knospen, die EndeApril erschienen, hellgrün, mit einer gelben Spitze der zu erwartenden Rosenblüte.
    Hinter dem Haus nahm ein Zierteich die Mitte einer Rasenfläche ein, die von einem bemoosten Klinkerpfad umgeben war. Am Ende des Rasens, zwei kleine Stufen hinauf und großteils durch Eiben verborgen, befanden sich eine leicht erhöhte Terrasse und ein kleiner Pavillon. All das war umschlossen von einer Ziegelmauer, auf der abschnittsweise Spaliere angebracht waren, die sich unter dem Gewicht von Kletterrosen beugten. Im Sommer schien die Ruhe der Mitte stets vom Chaos am Rande bedroht.
    Kein Licht brannte, als Henry nach Hause kam. Er schaltete die Alarmanlage aus und ging in die Küche. Auf dem Tisch lag die Morgenpost, das meiste Werbung. Zu müde, sich den Mantel auszuziehen, setzte er sich hin, um die restliche Post zu öffnen. Beim Prämiensparen hatte er fünfzig Pfund gewonnen. Es gab eine Broschüre von einem Weinhändler, mehrere Rechnungen und einen Brief, der fälschlich an Sir Henry Cage adressiert war. Henry sah sich den Umschlag genauer an. Die Adresse war aus dem Computer, der Adressaufkleber makellos – wohl eher ein Fehler der Sekretärin als ein zynischer Scherz, dachte er.
    Nachdem er den Brief gelesen hatte, war er sich da nicht mehr so sicher. Er stammte von jemandem, dem er nur einmal begegnet war und den er von Anfang an nicht hatte leiden können. Es sah so aus, als würde der Mann nun als Vorsitzender eines Spendenfonds für eine von der Regierung mitgetragene Business School fungieren. Diestaatliche Lotterie hatte ihnen dreißig Millionen Pfund für ein neues Gebäude in Aussicht gestellt, nun brauchte die Schule noch eine entsprechend hohe Summe an privaten Spenden. In dem Brief stand, man würde nun nach fünfzehn bedeutenden Persönlichkeiten suchen, die Interesse an Geschäften hatten. Für die Zwei-Millionen-Pfund-Spende wurde, wenn man das wollte, ein Stipendium oder einer der Hörsäle nach einem benannt. Ein frecher, unbeholfener Brief, womöglich war der Adelstitel doch absichtlich davor gesetzt worden. Henry würde nicht darauf antworten. Er legte die Rechnungen und den Scheck beiseite und schob den Rest für die Tonne zusammen. Dabei bemerkte er, dass er einen Brief übersehen hatte, einen blauen Luftpostumschlag, unverkennbar Nessas Handschrift. Er ließ ihn verschlossen auf dem Tisch liegen. Seit fünf Jahren hatte er nichts mehr von ihr gehört. Eine weitere Nacht würde da nichts ausmachen.

2.
    Im Dorf gelten Tom und Jane als Teilzeithändler. Ist es im Sommer warm, schließen sie die Buchhandlung gegen Mittag und radeln an den Strand. Im Winter warten sie ungeduldig auf den eisigen Nordwind, der die Menschen von der Straße fernhält. Dann sperren sie zu und ziehen sich guten Gewissens nach oben zurück. Sie liegen in ihrem Bett aus Schmiedeeisen und Messing (das ihnen ein Bücher liebender Hufschmied von einem nahegelegenen Anwesen preiswert gerichtet hat) und schauen zu, wie die schwarzen Wolken von der Nordsee hereinrollen. Die Wolken tragen den Regen südwärts – über ihr winziges Dach, über Garlic Wood und die kalten Felder von Norfolk hinweg. Der kleine Hal macht es sich bei ihnen im großen Bett gemütlich. Sie sind seit fünf Jahren verheiratet, und trotz einiger Schatten in ihrem Leben waren sie nie glücklicher.
    Sie sind keineswegs so dilettantisch, wie die Leute im Dorf vermuten. Den Großteil des Geschäfts wickeln sieüber ihre Website und die Kataloge ab, die sie jedes Quartal an einen stetig wachsenden Kundenstamm versenden. Sie haben sich auf Erstausgaben des zwanzigsten Jahrhunderts spezialisiert, vor allem auf britische und amerikanische Romane und Gedichtbände, eine Leidenschaft, die Tom von seinem Vater geerbt hat. Sommergäste im Laden sind enttäuscht über die Großstadtpreise und die fehlende Strandlektüre. Meist gehen sie mit leeren Händen wieder hinaus – eine Tatsache, die in den Nachbarläden heftig diskutiert wird. Alle im Dorf sind sich einig, dass
Cage & Cage – Booksellers
sich nicht lange halten wird. Am liebsten hätten die Leute stattdessen eine Videothek.

    Große, ernste graue Augen schauen Tom an.
    »Ich brauch ein Stück kaltes Kissen, Daddy«, sagt der Junge und rutscht mit dem Kopf auf einen kühlen,
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