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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage
Autoren: David Abbott
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seine Schuhe, bis sich die Fahrstuhltür im Erdgeschoss öffnete. Die junge Frau stieg aus. Er hatte das Gefühl, sie enttäuscht zu haben, weil er ihr keinen passenden Segen mitgegeben hatte. Aber er hatte nun mal keine Weisheit mehr zu verteilen.

    Sein Mercedes stand einsam auf dem unterirdischen Parkdeck; der schwarze Lack wirkte durch den leichten Schmutzfilm ein wenig matt. Zehn Jahre lang hatte Henryüber den Staub geklagt, der von den billigen Deckenfliesenrieselte, aber niemand hatte etwas unternommen. Nun war es egal. Nur leicht verärgert fuhr er die Ausfahrt hinauf.
    Im Wagen registrierten Sensoren die ersten Regentropfen auf der Windschutzscheibe, und die Wischer fuhren übers Glas.
    Henry ist wieder in Kalifornien und fährt zusammen mit Nessa und Tom nach San Francisco. Es ist 1977. Tom ist fünf und muss mal. Sie fahren gerade den Seventeen-Mile Drive in Pebble Beach entlang, es gibt keine Haltemöglichkeit.
    »Einfach durchhalten, Tom.«
    »Ich kann nicht.«
    »Doch, kannst du. Denk einfach an was anderes. Das funktioniert immer.«
    Henry drückt den Wischerhebel, woraufhin zwei kleine Wasserfontänen aufsteigen und das Glas leicht benetzen. Dann noch einmal und noch einmal.
    »Denk einfach an was anderes«, wiederholt er. Sie müssen lachen. Nessa greift ihm vom Beifahrersitz an den Arm. »Hör auf damit«, sagt sie, aber ihre Augen glänzen.
    Henry wollte noch nicht heim, also fuhr er aus einer Laune heraus zu den Mews, den ehemaligen Stallungen in der Nähe des Grosvenor Square. Er parkte im Dunkeln und schaltete die Scheinwerfer aus. Der Regen wurde stärker. Henry sah zu dem bescheidenen Gebäude hinüber, in dem alles begonnen hatte. 1970 waren die Zeiten für Unternehmensberater noch nicht so rosig gewesen, und die Investition in 110 Quadratmeter Bürofläche erschien rechtwagemutig. Jetzt belegte ein Architekt die Büroräume im ersten Stock über der Reihe von abschließbaren Garagen. Heutzutage brachten die Garagen wahrscheinlich ebenso viel ein wie die Räume darüber, doch war das nicht immer so damals. Das Glück war Henry gewogen in diesem Gebäude, dort hatte er sich seine ersten großen Kunden angeln können.
    Die Geschäftswelt hatte Henry schon immer fasziniert, aber er hatte nie daran geglaubt, dass man sie komplizierter machen müsse, als sie war. Er misstraute den Lehrbuchmanagern, den Business-School-Absolventen, die mit einem Curriculum voller turbulenter Fallstudien aufgepäppelt worden waren und sich nun mit Lust auf Chaos in die reale Welt stürzten. Henry klagte immer, sie hätten wohl eher eine Schauspielschule besucht als eine Business School. Die Menschen, die Henry inspiriert hatten, waren praxisorientierte Führungspersönlichkeiten, die ihre Firmen so führten wie ihr Leben. Er bewunderte Geduld und Überzeugung, Qualitäten, die er nicht bei den fest angestellten Zeitschindern fand, sondern bei Unternehmern, die Haus und Zukunft aufs Spiel setzten, um einer Vision zu folgen. Von ihnen hatte er gelernt, dass Management im besten Fall intuitiv, ehrlich und geradlinig war. Henry glaubte an den gesunden Menschenverstand.
    Eine Überzeugung, die seiner Firma früh Erfolg beschert hatte. Sie war eines der ersten Unternehmen auf diesem Gebiet, die an der Börse notiert wurden, und war weitergewachsen, bis daraus eine Gruppe von zwölf miteinander verbundenen Firmen entstanden war, die allesabdeckte, von Werbung bis Contract Publishing. Im Mittelpunkt des sich ausdehnenden Universums hatte allerdings stets die ursprüngliche Beratungskanzlei gestanden – der Ort, an dem Wissen und Erfahrung am hellsten strahlten.
    Zu Henry kamen Kunden, die konstruktiven, konservativen Rat suchten: Umstrukturierung der Vermögenswerte, Auffrischung bekannter traditioneller Werte, Schutz und Wachstum von Marken. Ging es um grundlegende Veränderungen, Umbauten auf großer Ebene, mit der dazugehörigen Unruhe, wandte man sich an andere Firmen. Solche großflächigen Einmischungen passten weder zu Henrys Fähigkeiten noch zu seinem Temperament. Er persönlich fand, dass man Veränderungen in den meisten Fällen ein zu hohes Gewicht beimaß.
    Ein Auto kam auf den Platz gefahren, und Henry ließ sich noch tiefer in den Fahrersitz sinken. Das Auto hielt vor einem Pub, das berühmt war für seine Steaks, und setzte drei Männer ab. Sie wirkten massig in ihren Anzügen und beeilten sich, ins Trockene zu kommen. Ihre Stimmen hallten laut.
    »Um Mitternacht sind wir wieder draußen.«
    »Und
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