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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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Zigarrenstummel ausgelöst worden sei, der in der Nähe eines leicht entflammbaren Gegenstandes – eines Vorhangs, eines Sessels, eines Teppichs – fallen gelassen worden war. Die dazwischenliegenden zwei Stunden erklären sich vortrefflich als notwendiger Zeitraum, in dem aus einem der Präsenz eines gefährlichen Mitglieds der MazziniSekte im Dorf gesprochen. Im übrigen darf nicht vergessen werden, daß zu jener Zeit die Insel von republikanischem Enthusiasmus erfaßt war. Und tatsächlich wurde nur einige Monate später Mazzini selbst bei einem heimlichen Landungsversuch in Palermo verhaftet. Wie auch immer, jedenfalls findet sich weder im königlichen Polizeipräsidium in Montelusa noch im Kommissariat von Vigàta irgendeine Spur von der Durchreise dieses nicht faßbaren Revolutionärs in Vigàta. Catalanotti, der rechte Arm des berüchtigten Puglisi, behauptete wohlbedacht, daß sein Vorgesetzter ihm niemals gesagt habe, er wüßte über die Anwesenheit eines gewalttätigen Aufwieglers und vermutlichen Brandstifters im Ort Bescheid.
    Das Buch des Abgeordneten Fiannaca (Sizilianische
    Schlachten) ist im übrigen eine großzügige Anerkennung der Verdienste der Republikaner in Vigàta, die er, wenngleich seine politischen Gegner, über den infamen Verdacht jedweder Mittäterschaft erhaben erachtet. Die These von der Brandstiftung wurde auch von einem jungen Gutachter der »FondiariaVersicherungsgesellschaft« vertreten (ohne einer bestimmten Person die Urheberschaft der Schandtat zuzusprechen): das Feuer soll durch zwei mit Petroleum gefüllte und mit brennender Zündschnur in die Unterbühne des Theaters geworfene Spardosen gelegt worden sein. Welch Hirngespinst diese Rekonstruktion mit unbestreitbarer Gewißheit, daß die zwei Spardosen den Kindern des Hausmeisters des Theaters gehörten, die sie aus kindlichem Mißtrauen eben in der Unterbühne versteckt hatten. Vollständige Bestätigung erhielten die Ermittlungsbeamten durch den Fund zahlreicher kleiner Münzen im Umkreis der Scherben dieser Behälter, die zuvor aufgrund der Brandschäden nicht entdeckt worden waren.
      Der Brand verursachte auf mittelbarem wie unmittelbarem Wege den schmerzlichen und entsetzlichen Verlust dreier Menschenleben.
    An dieser Stelle bin ich gezwungen, auf einen Umstand
    einzugehen, auf den ich wegen der Schwere des Falls und des üblen Geruchs, den jener verbreitet, gerne verzichtet hätte. In wenigen Worten: die Flammen des Brands griffen auch auf ein kleines dreistöckiges Haus über, das unmittelbar hinter dem Theater stand. Dort gab es zwei Tote, eine junge Witwe und einen Mann, der auf den ersten Blick beim selbstlosen Rettungsversuch der Frau sein Leben gelassen zu haben schien. Das leitete sich aus der Stellung der Toten ab. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um eine ebenso makabre wie schamlose Inszenierung des Kommissars Puglisi. Die junge Witwe war wie jener Mann, der ihr Liebhaber war und in dessen Armen sie bis zu jenem Augenblick schändlich gelegen hatte, schlafend am Rauch erstickt. Beeinflußt von seiner Geliebten, der Schwester der zu Tode gekommenen Doktor Meli, der eindeutig der Wahrheit entsprach.
    Tatsächlich aber ließ der Doktor Gammacurta, einer der
    beiden Ärzte von Vigàta, sein Leben bei dem selbstlosen Versuch, die junge Witwe zu retten. Als er bemerkte, daß die Flammen das kleine Haus hinter dem Theater bedrohten, und sich an die Witwe, eine seiner Patientinnen, im letzten Stock erinnerte, kletterte er auf die Spitze eines Salzbergs, ein Vorratslager, das fast an die Rückwand der Behausung reichte. Der Rettungsversuch wurde durch einen Herzinfarkt vereitelt, der ihn bei seiner altruistischen und heroischen Aktion ereilte. Die Verwundungen an seinem Körper stammten laut Befund der Autopsie, die von einem Amtsarzt der Quästur durchgeführt wurde, von den unzähligen Hindernissen, die Gammacurta auf seinem unheilvollen Weg zu überwinden hatte.
    Doch von diesen und anderen, noch unbekannten Episoden wird in den folgenden Kapiteln ausführlich die Rede sein.

    Dieser Rapport über die sozialen und wirtschaftlichen Zustände in Sizilien (nicht der bekanntere von Franchetti und Sonnino) wurde 1875/76 vom italienischen Parlament in Auftrag gegeben und erschien 1969 bei Cappelli Editore in Bologna. Für mich erwies er sich als eine Fundgrube. Die mehreren hundert Seiten mit Fragen, Antworten und Kommentaren ergaben den Stoff für meinen Roman La stagione della caccia und den Essay La bolla di
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